Noch viele weiße Flecken auf der Effizienz-Landkarte

Fünf Jahre nach der letzten Osteuropa-Studie von ROI haben sich die Standortbedingungen in der Region teilweise massiv verändert. Um angesichts steigenden Kostendrucks und zunehmenden Fachkräftemangels heute noch erfolgreich im Osten zu agieren, müssen Unternehmen dort anfangen, die verborgenen Effizienzpotenziale zu heben. Hans-Georg Scheibe, Managing Partner von ROI-EFESO und Robert Benacka, Vorstand der ROI Management Consulting a.s., Tschechien, verraten wie das gelingt.

Vor fünf Jahren prognostizierten Sie in der ROI-Studie „Osteuropa 2020“ eine Verschiebung von Teilen der Wertschöpfungskette in Richtung Polen, Tschechien Ungarn und der Slowakei. Was ist seitdem geschehen?

[HGS] Ein Trend, den wir in den letzten zehn Jahren beobachten konnten, ist die Erhöhung der Wertschöpfungstiefe in diesen Ländern. Während das westliche Unternehmen am Anfang noch das Material beigestellt hat, haben wir heute die Situation, dass die Standorte im Osten ihre westlichen Kunden direkt beliefern. Das ist eine Entwicklung, die manche Unternehmen sehr schnell bewältigen, andere etwas langsamer – je nachdem, um was für ein Produkt es sich handelt und welche technischen oder sonstigen Komplikationen es mit sich bringt. Aber der Trend zum local sourcing betrifft grundsätzlich Unternehmen aller Branchen und Größen.

Wo liegen die Vorteile dieser Strategie?

[HGS] Aus logistischer Sicht hat es noch nie Sinn gemacht, die Teile hin und her zu fahren. Denn dabei entstehen immer Transport-, Logistik- und Lagerkosten sowie hohe Bestände, die Kapital binden. Daher ist es i.d.R. günstiger, möglichst viele Wertschöpfungstätigkeiten vor Ort zu erledigen und dann an den Kunden zu liefern. Local Sourcing ist somit gewissermaßen eine logistische Notwendigkeit. Wir betrachten daher immer Wertschöpfungsketten statt einzelner Verrichtungen. Hinzu kommen steuerliche Vorteile und der Ausgleich von Währungsschwankungen.

[RB] Demgegenüber steht natürlich oft eine gewisse Unsicherheit, ob die lokalen Zulieferer das Material und die Teile in der entsprechenden Qualität liefern können. Viele Unternehmen starten daher zunächst mit kleineren Umfängen und weiten ihre lokalen Supply Chain Strukturen und Lieferantennetzwerke schrittweise aus. Es hat sich jedoch gezeigt, dass in vielen Fällen westliche Supplier bereits vor Ort sind, wenn ein OEM beschließt, seine Produktion dorthin zu verlagern. D.h. es ist ein paralleler Prozess, der sich extrem schnell vollzieht.

Gilt das für alle Regionen in Osteuropa?

[RB] Wenn wir über Osteuropa sprechen, müssen wir mindestens zwei, wenn nicht sogar drei Zonen unterscheiden: In Ländern wie Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn ist die Supply Chain i.d.R. bereits voll entwickelt und die benötigten Technologien sind flächendeckend verfügbar. Andere Regionen, wie etwa Bulgarien und Rumänien, entwickeln sich gerade dorthin, während Länder wie Serbien, Montenegro, Albanien oder die Ukraine noch am Anfang stehen. Die Beispiele aus der Vergangenheit zeigen allerdings, dass sich ein solcher Technologietransfer meist sehr schnell vollzieht.

Mit welchen Herausforderungen sind Unternehmen in diesen Regionen stattdessen konfrontiert?

[HGS] Eine der größten Herausforderungen für Unternehmen, die derzeit in Osteuropa investiert sind, betrifft den Mangel an qualifiziertem Personal. Eine der Hauptursachen hierfür liegt sicherlich in der Auslagerung von Fertigungen in weniger entwickelte Regionen zugunsten von Subventionen. Gleichzeitig haben zeigen gerade die gut ausgebildeten Fachkräfte eine hohe Wechselbereitschaft. So gibt es Unternehmen, die in einem Jahr bis zu 50% ihres Personals umschlagen und ihre Mitarbeiter aus verschiedenen, teilweise weit entfernten Regionen Osteuropas beziehen müssen. Dadurch kann es passieren, dass von einem Tag auf den nächsten ein völlig neues Personal da ist. Diese hohe Fluktuation bringt natürlich oft auch Qualitäts- und Produktivitätsprobleme mit sich.

Wie können Unternehmen vor Ort darauf reagieren?

[RB] Zum einen geht es um die Nachhaltigkeit von Prozessen, also die Frage, wie man Workflows so gestaltet, dass sie nachhaltig bleiben, auch wenn sich das Personal quasi täglich ändert. Das betrifft dann auch das Thema Standardisierung bis hin zur Frage, in welcher Sprache die Dokumentation stattfindet. Zum anderen geht es darum, die Onboard-Velocity, also die Geschwindigkeit, mit der neue Arbeitskräfte angelernt werden, zu erhöhen – unabhängig davon wie viel einschlägige Erfahrung sie mitbringen. Dazu müssen sich Trainings- und Schulungsmaßnahmen verändern: Text wird zunehmend irrelevant; die Wissensvermittlung erfolgt nach dem Hands-On Prinzip über praktische Shopfloor-Simulationen, wie wir sie beispielsweise in unseren Lernfabriken anbieten.

[HGS] Neu ist, dass man mittlerweile auch in diesen Regionen einen höheren Automatisierungsgrad anstrebt, obwohl sich dieser eigentlich nicht rechnet. Schlichtweg deswegen, weil die geeigneten Mitarbeiter fehlen. Das wäre noch vor ein bis zwei Jahren undenkbar gewesen.

Welche Rolle spielen dabei die Kosten?

[HGS] Der Kostendruck hat – nicht zuletzt durch die angespannte Situation am Arbeitsmarkt – in den letzten Jahren sicherlich deutlich zugenommen. Mit zwei wesentlichen Effekten: Zum einen verlagert sich die Dynamik bei den Neuansiedlungen immer weiter in Richtung Osten, in Regionen wie Albanien oder die Ukraine, wo die Lohnkosten noch signifikant niedriger sind. Zum anderen rücken nun auch zunehmend Themen wie Effizienzsteigerung und Kostensenkung in den Fokus, die bis dato keine Rolle gespielt haben.

[RB] Das hat auch einen geschichtlichen Hintergrund: Osteuropa ist traditionell eine Niedriglohnregion. Statt Prozessoptimierung stand der Technologietransfer im Vordergrund. Das heißt, die Erfahrung mit Instrumenten zur Effizienzsteigerung und ein Bewusstsein für konkurrenzfähige Kostenstrukturen ist hierzulande kaum ausgeprägt. Es fehlen Werkzeuge, Methoden und KPIs. Das ist auch nicht überraschend, weil es zuvor darauf nicht ankam. Jetzt rückt das immer mehr in den Mittelpunkt, weil die Kosten gestiegen sind, sich die Organisationen weiterentwickelt haben und auch der Overhead zugenommen hat. Wenn nun der Bedarf etwas zurückgeht wird plötzlich offensichtlich, dass die Organisation nicht mehr so effizient ist, wie sie vorher vermeintlich war.

Wo liegen hier die größten Einsparpotenziale?

[RB] Ein wesentlicher Hebel liegt sicherlich im Bereich der Fertigungsgemeinkosten. Hier wird teilweise mit 50% Overhead gearbeitet. Daneben bergen aber auch klassische Lean Production Ansätze zur Ausrichtung des Warenflusses erhebliche Effizienzpotenziale von bis zu 30-40%. Die Möglichkeiten durch günstige Sensorik genauere Daten aus dem Produktionsprozess zu erhalten und so gezielter Verschwendung zu erkennen, bildet dabei auf jeden Fall einen zentralen Erfolgsfaktor.

Wie sieht Ihre Zukunftsprognose aus? Lohnt sich der Weg nach Osteuropa für westliche Unternehmen heute noch?

[HGS] Ich denke Osteuropa ist weiterhin ein attraktiver Standort. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass immer mehr Unternehmen nicht nur Produktionskapazitäten, sondern auch Entwicklungsabteilungen dorthin verlagern. Denn der Kostenvorteil ist weiterhin da, auch wenn sich der Fokus sicherlich etwas weiter nach Osten verlagert, wo die unmittelbaren Lohnkosteneffekte noch größer ausfallen. Eine wichtige Rolle spielt dabei sicherlich auch die Kultur, also die Fähigkeit schnell dorthin zu fahren und etwas zu bewirken. Allerdings beobachten wir auch, dass sich die politische Lage in einigen Ländern seit ein paar Jahren verändert. Manche Unternehmen stellt das vor neue Herausforderungen. Für Unternehmen, die heute darüber nachdenken, Teile ihrer Wertschöpfungskette nach Osteuropa zu verlagern, gilt es diese verschiedenen Aspekte abzuwägen. Das erfordert eine genaue Analyse der Standortfaktoren. Dabei sind Berater vor Ort mit tiefen Kenntnissen der lokalen Verhältnisse und nativen Sprachkenntnissen unverzichtbar.

ROI-EFESO verfügt über eine langjährige und umfassende Kenntnis der Industrielandschaft in Osteuropa sowie der technologischen, ökonomischen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen. Mit einem erfahrenen Team muttersprachlicher Experten arbeiten wir an unterschiedlichsten Themenstellungen – von der Standortauswahl und dem Aufbau neuer Produktionsstätten, über die Einbindung osteuropäischer Standorte in globale Produktionsnetzwerke, bis hin zur Effizienz- und Qualitätssteigerung.

Darüber hinaus betreibt ROI in Jesenice bei Prag eine Lernfabrik, in der Mitarbeiter und Führungskräfte unterschiedlicher Hierarchieebenen praxis- und anwendungsorientiert im Umgang mit Methoden und Technologien des Lean Managements und der Industrie 4.0 trainiert werden.

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