„Ein überzeugendes Storytelling schärft den Blick für die Ziele der Fabrik.“

Experte:    Neil Webers, Executive Vice President, EFESO   |   14.09.2023   |   Teilen auf in

 

Herr Webers, Sie digitalisieren Fertigungsprozesse in unterschiedlichen Branchen. Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie, wenn es darum geht, die Betriebe auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten?

Neil Webers: Wenn Unternehmen ihre Smart- oder Future-Factory-Strategien entwerfen, fokussieren sie sich in der Regel auf technologische Fragestellungen und Tools. Das blendet jedoch wichtige Aspekte aus: kunden- und verbraucherzentriertes Verhalten oder die Anforderungen und Wünsche jüngerer Mitarbeiter. Auch die Chancen, welche die Zusammenarbeit mit Cobots oder KI-Algorithmen bieten, werden zuweilen vernachlässigt.

Viele Unternehmen starten also nicht mit einer ganzheitlichen Perspektive. Sie sehen sich daher heute schnell mit zwei zentralen Herausforderungen konfrontiert: erstens, die Akteure in der gesamten Wertschöpfungskette miteinander zu verbinden. Und zweitens, einen permanenten Wandel zu managen: etwa von den Funktionen und dem Wissen in der Organisation, aber auch vom Verständnis der Mitarbeiter von ihrer Rolle in der Fabrik der Zukunft.

Wenn wir eine „Future Factory“ entwerfen, müssen wir uns daher mit den Transformationspfaden der Mitarbeiter auseinandersetzen. Das beinhaltet mehr als Führungs- oder Funktionsaspekte – die Menschen müssen als integraler Bestandteil des Werkes verstanden werden! Hier sehen wir viel Entwicklungsbedarf, neben den klassischen Themen des Transformationsmanagements oder der Operational Excellence.

 

Gibt es eine Herausforderung, die besonders viel Aufmerksamkeit verdient?

Neil Webers: Wir erleben auch in der Arbeitskultur eine Zeitenwende. Diese zu bewältigen, erfordert eindeutig die höchste Aufmerksamkeit. Die neue Arbeitnehmergeneration erwartet ein digitalisiertes Arbeitsumfeld, häufig auch mit der Remote Working-Option. Viele fertigende Unternehmen können diese Erwartung aber nicht erfüllen. Rund neun von zehn Betrieben in der Lebensmittel- oder Chemieindustrie arbeiten beispielsweise noch auf Papierbasis und digitalisieren ihre Shopfloor-Prozesse allenfalls schrittweise. Ein "Remote Shopfloor Management" ist vielerorts also noch weit entfernt.

Andererseits sind dieselben Unternehmen oftmals sehr fortschrittlich bei der Verbesserung anderer Betriebsbereiche durch Digitalisierung und Automatisierung. Und ja, solche Unternehmen werden auch hochqualifizierte Bewerber finden, die das Wertstrommanagement mit digitalen Zwillingen oder einem Supply Chain Control Tower beherrschen. Aber sie gewinnen sie nicht als Mitarbeiter, da der Kontrast zwischen deren Qualifikationen und der Realität des Arbeitsumfelds zu groß ist.

 

Wie lösen Sie diese Widersprüche mit Ihren Kunden auf?

Neil Webers: Es gibt zwei wichtige Ansatzpunkte. Zum einen sollten Sie Ihre Daten so schnell und ansprechend wie möglich visualisieren – dabei aber nie aus dem Auge verlieren, welchen Nutzen das bringt! Viele unserer Kunden beginnen oder beschleunigen ihre Digitalisierungsreise mit Projekten, die auf die Visualisierung von Daten ausgerichtet sind. Das ist gut, schafft aber an sich noch keinen Mehrwert. Es ist nur der erste Schritt. Darüber hinaus sollte es immer darum gehen, die Schritte von der Visualisierung zur Operationalisierung zu finden und zu meistern.

Genau das machen wir mit unserer Plattform. Wir verbessern den Arbeitsalltag, indem wir Daten so aufbereiten, dass sie hilfreich und inspirierend sind. So bilden wir beispielsweise die Arbeitsschritte der Mitarbeiter an den Maschinen, Anlagen und in der Intralogistik digital ab. Dadurch werden Verbesserungsoptionen wie die Umstellung von papierbasierten auf digitale Prozesse sichtbar. Außerdem lassen sich die Resultate von Veränderungen simulieren, was wiederum für das "Big Picture" der Werksleitung wertvoll ist.

"Die Schritte von der Visualisierung zur Operationalisierung sind entscheidend."

Und der zweite Ansatzpunkt?

Neil Webers: Die Rollen und Verantwortlichkeiten innerhalb der Fabrik werden sich schnell und ständig verändern, insbesondere bei einem Einsatz von KI-Technologien. Das hat mindestens eine funktionale und eine kommunikative Dimension. Der funktionale Aspekt - wie verbinde ich welche Datenquellen, um welche Informationen zu erhalten - ist in der Regel zeit- und kostenaufwändig und erhält entsprechend viel Aufmerksamkeit. Aber die kommunikative Seite - wie kann ich Menschen für Veränderungen gewinnen - ist mindestens genauso wichtig.

Das erfordert vor allem ein überzeugendes Storytelling. Die zweite Aufgabe besteht also darin, dieses Storytelling ganz individuell für die Zukunftsreise des Werkes bzw. Unternehmens zu entwickeln. Etwa wenn es darum geht, Entscheidungen auf digitale Assistenten bzw. KI-Technologien zu übertragen. Hier sollten Sie die möglichen Konsequenzen ganz genau kennen – und wissen, ob Sie als Führungskraft bereit sind, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Beim Storytelling können Sie mit Szenarien für Ihre Branche arbeiten, aber auch mit Vergleichen zu anderen Technologien. In diesem Fall eignet sich zum Beispiel der „Entscheidungsprozess“ von autonom fahrenden Autos als Inspiration.

 

Aber wie lässt sich das in den Fertigungskontext übertragen?

Neil Webers: Die Risikodimension lässt sich zum Beispiel immer veranschaulichen. Stellen Sie sich vor, ein Zielbild für Ihr zukünftiges Chemiewerk sind autonome Fließbänder. Hätten Sie bereits als Teil des Plans im Hinterkopf, wie die Rollen der Mitarbeiter aussehen werden, vor allem beim Thema Entscheidungsfindung? Welche Risiken wollen Sie auf wen verlagern? Wie sieht der Eskalationsprozess im schlimmsten Fall aus?

Das ist übrigens nicht nur für die Fabrik der Zukunft ein wichtiges Thema. Sondern auch für viele hochautomatisierte Fabriken, in denen diese Entscheidungen bereits getroffen wurden – aber nicht mit absoluter Klarheit über mögliche Folgen. Diese Aspekte sollte man nicht nur in einem Organigramm festhalten, sondern auch in einer Form, die Menschen außerhalb dieser Arbeitswelt verstehen können – was ebenfalls ein Ergebnis eines gelungenen Storytellings sein kann.

Über Neil Webers

Neil Webers ist Executive Vice President bei EFESO. Als Autor der Publikation „Performance Behavior: The lean methodology for continuously improving performance behavior" ist er ein renommierter Experte für Organisationsentwicklung und Digitalisierung in der Arbeitswelt.