Industrielle Nachhaltigkeit realisieren

Experte:    Fernando Cruzado   |   25.04.2024   |   Teilen auf in

 

Herr Cruzado, eine Event-Serie von EFESO widmet sich den „Helden der Nachhaltigkeitstransformation“, etwa in der Chemieindustrie. Was ist die Idee dahinter?

FC: Die Idee ist, das gängige Storytelling zu Nachhaltigkeitsthemen im industriellen Kontext zu erweitern. Häufig stehen abstrakte Zahlen und Begrifflichkeiten im Vordergrund, etwa zu internationalen Zielwerten, Richtlinien oder Klimaschutzmaßnahmen. Auf den Alltag der Unternehmen heruntergebrochen, stehen aber konkrete und erzählenswerte Erfolgsgeschichten dahinter. Hier wird mit unterschiedlichen Fähigkeiten enorm viel geleistet – bei der Technologieentwicklung- und -nutzung, der Realisierung von Kreislaufwirtschaft, Lieferkettentransformationen und in vielen weiteren Operations-Feldern. Diese „Heldengeschichten“ aus den Unternehmen verdienen Aufmerksamkeit.

Bei der Chemiebranche kommt hinzu, dass dieser Sektor zurecht als „Mutter aller Industrien“ bezeichnet wird und die Chemie am Anfang vieler Wertschöpfungsketten anderer Wirtschaftszweige steht. Dementsprechend beeinflussen ihre Produkte alles, was in dieser Wertschöpfung geschieht, erheblich – natürlich auch beim Thema Nachhaltigkeit. Etwa mit Recyclinglösungen, welche die Kreislaufwirtschaft voranbringen, oder mit robusten, leichten Materialien für Innovationen im Bereich der erneuerbaren Energien. Daher spielt diese Industrie aus unserer Sicht eine besondere „Heldenrolle“ bei der Nachhaltigkeitstransformation, die sie aber nicht alleine besetzt. Gerade beim Thema Kreislaufwirtschaft ist z.B. häufig ein Eco-System von Partnern notwendig, um tatsächlich den Kreis schließen zu können.

 

Mit neuen Partnerschaften die eigenen Handlungsspielräume zu erweitern, ist auch in anderen Industrien ein praktikabler Weg. Welche Gemeinsamkeiten erkennen Sie bei Helden der Nachhaltigkeitstransformation? Was kennzeichnet ihren Erfolg?

FC: Aus der Zusammenarbeit mit Unternehmen, die hier Maßstäbe setzen, identifizieren wir insbesondere drei Erfolgsfaktoren: Essentiell ist zum Beispiel, eine gesicherte Versorgung mit recyclierbarem Material sowie die Bereitstellung der geeigneten Technologie zu gewährleisten. Was sich einfach anhört, ist in der Realität eine komplexe Leistung – sei es bei Rückführungsprozessen, der effizienten Beprobung eingehender Materialien, in der Qualitätssicherung oder bei der Bezahlung der Lieferanten. Sehr gut funktionierende, profitable Prozesse in diesem Bereich zu haben ist zudem erfolgskritisch, um ein attraktiver Partner für Zulieferer von Recyclat-Produkten zu sein.

Transformationshelden realisieren außerdem Win-Win-Modelle mit Kunden und Partnern. Ein starker Umsetzungswille ist hier ein wichtiger Treiber, um den eingeschlagenen Kurs konsequent zu verfolgen. Das mobilisiert nicht nur entsprechend qualifizierte Ressourcen. Zugleich entsteht in der Regel ein gesicherter Arbeitsrahmen, in dem das Teilen von sensiblen Daten und Technologien ohne zusätzliche Absicherungsschleifen funktioniert – eine wichtige Voraussetzung, um agil Fortschritte zu erzielen.

Der dritte Faktor ist der Aufbau regional fokussierter Partnerschaften. Gerade innerhalb Europas ist der Abfalltransport stark reguliert, so dass lokale Lösungen leichter und schneller implementierbar sind.

 

Viele Unternehmen haben sich langfristige Ziele gesetzt, etwa für 2030 oder 2050. Wie begegnet man dem Risiko, dass das Engagement für Nachhaltigkeit in dieser Zeitspanne aus dem Fokus gerät und nachlässt?

FC: Bei vielen Aufgabenstellungen sorgt ja der Gesetzgeber für den notwendigen Druck von Außen, damit genau das nicht geschieht. Desweiteren führen Erwartungen aus dem Markt und seitens der Endkunden zu den entsprechenden Selbstverpflichtungen. Trotzdem sind es erst einmal abstrakte Zahlen, die beim Blick in die Zukunft im Raum stehen. Die Best Practice Unternehmen brechen daher ihre Ziele herunter: Sie verteilen sie auf viele Schultern, verwandeln Abstraktes in konkrete Aufgabenpakete, die Mitarbeiter, Teams, Abteilungen, Werke nachvollziehbar in die Verantwortung nehmen.

Damit geht übrigens auch eine kommunikative Herausforderung einher. Was bedeutet es z.B. ganz konkret für einzelne Organisationseinheiten, bis 2030 „carbon neutral“ zu sein? Welchen Beitrag hat jede Einheit zu leisten? Viele „Heros“ formulieren dazu ihre Ziele und Etappen nach der Formel „ambitioniert, aber realistisch“. Und letzendlich muss auch bei einem weiten zeitlichen Horizont die Reise jetzt losgehen, mit ganz konkreten Maßnahmen.

"Transformationshelden realisieren Win-Win-Modelle mit Kunden und Partnern."

Eine Planung mit konkreten Maßnahmen ist das eine – ohne Kapital, Zeit und die notwendigen Qualifikationen wird die Umsetzung aber ausgebremst  ...

FC: So ist es. Dieser weitere Aspekt – die Organisation zu befähigen – bezieht sich allerdings nicht nur auf die Kompetenzen der Mitarbeiter. Sondern auch darauf, die Voraussetzungen für den Wandel zu schaffen. Hier stehen neben der Qualifikation in der Regel die Verfügbarkeit von Investitionskapital und die Gestaltung von Geschäftsprozessen im Vordergrund. Die Transformationshelden in unserer Event-Serie stellen beispielsweise ganz konkrete, spezialisierte Ressourcen und Task Forces zur Verfügung, um Emissionsziele zu erreichen. Sie prüfen dazu genau, mit welchen Maßnahmen sich in den Unternehmensstandorten welche Ergebnisse erzielen lassen.

Dabei muss berücksichtigt werden, das Nachhaltigkeitsprojekte mit Kapazitätserweiterungsmaßnahmen konkurrieren können – schließlich wird in der Chemieindustrie mehr Geld mit Produkten als mit Nachhaltigkeit verdient. Unternehmen begegnen dem häufig, indem sie ein separates CapEx-Budget einrichten. Oder Projekte mit einem Nachhaltigkeitsbeitrag bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung bevorzugen, etwa durch interne CO2-Preise oder ein qualitatives Scoring-Modell.

 

Wie gelingt der Start einer Transformation zur industriellen Nachhaltigkeit? Gibt es dazu eine empfehlenswerte Methode für Unternehmen?

FC: Neben den genannten Punkten ist es wichtig, einen klaren Plan für die unmittelbare Zukunft zu haben – was soll in den nächsten drei bis sechs Monaten passieren? Wie wollen wir konkret aus den Startblöcken kommen? Und bei welchen Auslösern bzw. Rahmenbedingungen starten welche Maßnahmen? Der Werkstofftechnologie- und Recyclingkonzern Umicore definierte beispielsweise anhand von Wachstumsszenarien klare Trigger-Punkte, um z.B. Invest-Projekte zum richtige Zeitpunkt starten zu können.

Daraus ergab sich eine Roadmap, die dynamisch an veränderte Marktbedingungen adaptierbar ist und somit Wirtschaftlichkeit gewährleistet. Schließlich muss sich industrielle Nachhaltigkeit auch rentieren. Es wird nur gelingen, den Fokus auf dem Thema zu halten, wenn auf alle drei Dimensionen eingezahlt wird: People, Planet und Profit. Viele neue Geschäftsmodelle, wie etwa im Batterie-Recycling, zeigen bereits: das funktioniert sehr gut.

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