Closing the Loop – Kreislaufwirtschaft für Industrieunternehmen

Von Tim Ballenberger, ROI-EFESO

Überschwemmungen, Brände, Unwetter – Extremwetterereignisse werden nicht nur immer häufiger, sondern auch immer folgenschwerer. Diese Katastrophen führen uns klar vor Augen, dass jetzt die Zeit zum Handeln ist. Um die Klimakrise in den Griff zu bekommen, müssen wir die richtigen Lösungen finden, um nachhaltig unsere Treibhausgasemissionen zu senken.

Dabei ist der Anstieg an klimaschädlichen Emissionen nur einer der Schatten des Wirtschaftswachstums. Vor allem in den letzten Jahrzehnten wurde uns immer bewusster, wie groß unser Einfluss auf den Planeten ist, und zu welchen Schäden dies führt. Ein kurzfristiges Ende des Wirtschaftswachstums, als möglicher Ausweg, ist jedoch nicht realistisch: Auch in Zukunft werden der Anstieg der globalen Bevölkerung und der weitere Rückgang der Armut für zusätzliches Wachstum sorgen.

Doch wie können wir dieses Wachstum ermöglichen, ohne unseren Planeten in gleichem Maße zu schädigen? Eine mögliche Antwort hierauf bietet die Kreislaufwirtschaft. Ziel ist es, mit der gleichen Menge an Rohstoffen mehr zu erreichen und eingesetzte Rohstoffe wieder nutzbar zu machen, damit diese nicht verloren gehen. Dies bedeutet konkret, dass bestehende Produkte länger in Benutzung bleiben und wir ein effektives Recycling ermöglichen. Damit werden Ressourcenkreisläufe geschlossen und der globale Ressourcenbedarf verlangsamt. Nur so schaffen wir es, unseren negativen Einfluss auf den Planeten vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln.

Dieser Ansatz passt jedoch nicht zur sogenannten Wegwerfgesellschaft, in der Konsum nach dem Prinzip „Take - Make - Use - Lose“ dominiert. Somit erfordert die Kreislaufwirtschaft auch eine Transformation unseres Wirtschaftssystems – eine komplexe Aufgabe, die die Zusammenarbeit aller beteiligten Parteien erfordert. Einer dieser Akteure ist die Industrie, deren Geschäftsmodelle oft alles andere als zirkulär sind. Doch wie kann ein Industrieunternehmen erfolgreich den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft finden?

Alles beginnt mit dem Produktdesign

Der Produktentstehungsprozess definiert die Kreislauffähigkeit eines Produktes. Es wird also schon zu Beginn des Produktlebenszyklus festgelegt, wie gut sich ein Produkt für die Kreislaufwirtschaft eignet. Verschiedene Fragestellungen sind dabei relevant: Können die verwendeten organischen Rohstoffe leicht von technischen Bauteilen getrennt werden? Finden giftige Materialien Verwendung? Können einzelne Bauteile leicht ausgetauscht und repariert werden? Solche Designentscheidungen können für bestehende Produkte nur schwer oder aber gar nicht geändert werden.

Die genannten Fragestellungen sind dabei nicht neu im Produktentwicklungsprozess: Gefahrstoffe oder die Recyclingfähigkeit stehen bereits heute auf den Agenden der Industrieunternehmen. Trotzdem zeigt sich, dass aktuelle Designparadigmen zu Produkten führen, die nur begrenzt kreislauffähig sind. Das Auto ist ein gutes Beispiel hierfür: So erzeugt etwa der Reifenabrieb schädliche Mikropartikel und am Ende der Nutzungsdauer eines Fahrzeugs werden so gut wie keine Bauteile in neuen Fahrzeugen wiederverwendet. Echte Kreislaufwirtschaft sieht anders aus.

Kreislauffähige Produkte brauchen deshalb spezifische Designparadigmen. Beispiele hierfür sind modulares Design, Design für Demontage („design for disassembly“) oder solche Paradigmen, die auf die optimierte Nutzung durch den Kunden abzielen und so kreislauffähiges Nutzerverhalten überhaupt erst fördern („design for circular behavior“).

Langfristiger Erfolg durch neue Geschäftsmodelle

Doch nicht nur einzelne Produkte, sondern auch ein Großteil der Geschäftsmodelle von Industrieunternehmen sind noch nicht auf die Kreislaufwirtschaft ausgerichtet, sondern folgen dem linearen „Take – Make – Use – Lose“-Schema. Die Herausforderung liegt deshalb darin, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die sowohl profitabel als auch zirkulär aufgebaut sind. Ein Ansatz hierfür ist, dass Kundinnen und Kunden nicht mehr für das Produkt an sich, sondern für dessen Nutzung bezahlen. Carsharing-Systeme – ein bekanntes Beispiel – halten bereits heute viele Menschen vom Kauf eines eigenen Fahrzeugs ab. Durch die Reduzierung der verkauften Fahrzeuge sinken die Emissionen aus deren Herstellung und der Carsharing-Anbieter profitiert wiederum durch die kontinuierliche Nutzung der Carsharing-Flotte.

Die Frage des Geschäftsmodells erfordert von Unternehmern Mut, unangenehme Fragen zu stellen. Bedenken sind dabei sehr verständlich, da ein Konzept infrage gestellt wird, mit dem ein Unternehmen lange sehr erfolgreich war. Der frühzeitige Aufbau zirkulärer Geschäftsmodelle eröffnet Industrieunternehmen jedoch eine Reihe von Chancen, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit auszubauen:

  • Reduzierung der Abhängigkeiten von primären Rohmaterialien
  • Proaktives Einstellen auf die regulatorischen Folgen eines sich weiter verschlimmernden Klimawandels
  • Gestaltung des Wertschöpfungsnetzwerks mit starken und innovativen Partnern
  • Etablierung angepasster, effizienter Prozesse
  • Generierung positiver Impulse für das Unternehmensimage

Der Einstieg in das Thema kann dabei schrittweise erfolgen, etwa durch das Sammeln erster Erfahrungen mit autonomen Teams. Diese bringen ein Produkt von der Idee bis zur Markteinführung, ohne dass sie dabei durch etablierte Strukturen gebremst werden. Die so gewonnenen Erfahrungen können schließlich in die Aktualisierung der Unternehmensstrategie zurückfließen, um das Thema strategisch zentral zu verankern.

Kein Erfolg ohne Partner

Die Kreislaufwirtschaft ermöglicht viele neue Geschäftsmodelle, die vorher wenig reizvoll erschienen. Beispiele dafür sind die Reparatur und Instandhaltung von Maschinen, Software-Upgrades für die Implementierung neuer Funktionalitäten, aber auch das Thema Rückführlogistik von benutzten Produkten. Dies führt dazu, dass es nicht mehr nur der Hersteller ist, der für den zentralen Wertzuwachs zum Produkt verantwortlich ist; stattdessen verteilt sich der Wertzuwachs gleichmäßiger über die Parteien im Wertschöpfungsnetzwerk.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum ein Unternehmen das Thema Kreislaufwirtschaft nicht im Alleingang in Angriff nehmen sollte: Für den Erfolg eines Produktes ist ein Netzwerk von kompetenten und verlässlichen Partnern erforderlich, die jeweils unterschiedliche und für die Kreislaufwirtschaft notwendige Tätigkeiten übernehmen. Eine intensivierte und vertrauensvolle Kooperation mit dem eigenen Wertschöpfungsnetzwerk wird daher für Unternehmen noch wichtiger, als sie es heute schon ist.

Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft ist eine komplexe und herausfordernde Aufgabe für unsere Gesellschaft. Gleichzeitig ist sie unabdingbar, wenn weiteres Wirtschaftswachstum ermöglicht werden soll, ohne zugleich die Klimakrise zu verschärfen. Unternehmen können sich dem Thema daher nicht entziehen. Stattdessen werden diejenigen Firmen, die sich bereits frühzeitig mit dem Thema beschäftigen, einen Wettbewerbsvorteil erlangen. Kreislaufwirtschaft ist somit ein Paradebeispiel für das Thema Nachhaltigkeit an sich: gut für die Gesellschaft, gut für die Umwelt und auch gut für den unternehmerischen Erfolg.

Erstveröffentlichung dieses Beitrages in: Lünendonk Magazin, Ausgabe 10/2023, „ESG: Schlüssel für nachhaltigen Unternehmenserfolg“.