„Konfliktbehaftete Ziele in Einklang bringen“
Neben Arbeits- und Logistikkosten zählen heute auch Flexibilität, Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit zu wichtigen Kriterien für Standortentscheidungen.
Interview mit Ahmed Sahyoun und Benjamin Thron, ROI-EFESO Management Consulting AG
Herr Sahyoun, Herr Thron, was zeichnet heute Standortentscheidungen aus und welche Dimensionen spielen die wichtigste Rolle?
Ahmed Sahyoun: Entscheidungen über das Footprint Design werden langfristig getroffen und folgen generellen Trends und Zielsetzungen. Im Prinzip lassen sich dabei fünf zentrale Dimensionen benennen, die unternehmensspezifisch ausbalanciert werden müssen.
Zum einen geht es natürlich um die Optimierung der Kosten im Netzwerk. Solange wir einen intensiven globalen Wettbewerb haben, wird sich daran auch nichts ändern. Darüber hinaus muss die Resilienz des Netzwerks gegen externe Schocks und Störungen erhöht werden, beispielsweise durch die Möglichkeit, zwischen den Werken umzuschalten. Eine dritte Dimension ist Flexibilität, also die Fähigkeit, schnell auf Marktschwankungen und Nachfrageveränderungen zu reagieren, die Lieferzeiten kurz und die Kundennähe hoch zu halten. Ein weitere Thema ist Nachhaltigkeit im Sinne der UN-Charta mit den 17 vorrangig qualitativen Nachhaltigkeitszielen, zu deren zumindest teilweisen Erfüllung sich immer mehr Unternehmen verpflichtet haben. Dazu gehört auch die Verringerung der Emission von klimaschädlichen Gasen, ein eher quantitatives Thema, da sich CO2-Emissionen berechnen lassen.
Beim Footprint-Design geht es nun darum, diese fünf Dimensionen gesamthaft zu betrachten, die auch in einem konfliktären Verhältnis stehen können. Etwa dann, wenn ich die Kosten senken muss, aber gleichzeitig nah am Kunden sein will, der in einer Hochlohn-Region sitzt. Diese integrierte Sicht ist unabdingbar, um ein vollständiges Bild zu gewinnen, auch dann, wenn in einem konkreten Footprint-Projekt nicht die ganze Themenbreite fokussiert wird, sondern nur einzelne Themenmodule.
Benjamin Thron: Diese Perspektive muss dann durch eine Betrachtung der Risiken ergänzt werden, die durch die Verlagerung entstehen. Dabei geht es sowohl um Umsetzungsrisiken als auch beispielsweise um schlecht prognostizierbare politische Risiken. In Summe gibt es eine Vielzahl von relevanten Faktoren. Einzelne davon, etwa die mit Transportsicherheit und Transportkosten verbundene Risiken, lassen sich berechnen. Die meisten sind jedoch qualitativer Natur, so dass auch das Gesamtmodell nicht mathematisch erfasst werden kann.
AS: Und schließlich geht es auch um den Transformationsprozess, der mit jeder Verlagerungsinitiative verbunden ist. Auch hier gibt es einige quantitativ fassbare Themen, wie z.B. Investitionsrechnungen. Aber es geht auch sehr stark um die Menschen, die man in der Veränderung mitnehmen muss. Und das erfordert eine sehr intensive, nachhaltige Kommunikation, Aufklärung, Trainings und vieles mehr.
Welche Effekte hat die Tatsache, dass sich optimale Footprint-Entscheidungen nicht mathematisch genau durchrechnen lassen?
BT: Die wichtigste Konsequenz ist, dass man sehr frei in seinen strategischen Entscheidungen ist. Es geht um Zeiträume von fünf bis zehn Jahren, für die man eine Strategie ausarbeitet und hat dabei relativ wenige Inputfaktoren. Die Kehrseite davon ist natürlich eine hohe Komplexität. Hinzu kommt, dass sehr viele Unternehmen wenig Erfahrung mit Footprint-Design haben. Sie haben zwar historisch gewachsene Netzwerke und viel Erfahrung in ihrem operativen Management – aber nicht in ihrer strategischen Planung.
Wie sorgt man angesichts dieser Komplexität für Validität und Transparenz von Entscheidungen?
AS: Der wichtigste Schritt besteht darin, sehr früh im Projekt maximale Klarheit über die Zielsetzungen zu gewinnen. Was soll ein veränderter Footprint leisten? Will ich Kosten einsparen, näher an meinen Kunden heran, will ich die Störungsanfälligkeit verringern, oder den Zugriff auf kritisches Knowhow und kritische Produktionsfaktoren sichern? Das muss intensiv diskutiert werden, das schafft Klarheit und schärft den Projektfokus.
Dieser Rahmen muss gegenüber den beteiligten Werken sehr transparent gemacht werden. Denn ein Footprint-Projekt ist immer eine Optimierung des Gesamtnetzwerks, nie des einzelnen Werks. Darüber hinaus muss man die handelnden Personen, sowohl im Kernteam als auch in den beteiligten Werken und ggf. Zentralfunktionen intensiv trainieren und aufklären. Was sind die Phasen und Bausteine des Projekts, welche Zahlen fließen in welcher Form in die Entscheidungen ein, welche Projektrisiken existieren. Deshalb organisieren wir in unseren Footprint-Projekten zum Projektstart meist eine Art Bootcamp.
Wie lässt sich die Komplexität in den Footprint-Projekten konkret beherrschen?
AS: Aus methodischer Perspektive sollten Footprint-Projekte möglichst modular aufgesetzt werden. So besteht die Möglichkeit, lediglich ausgewählte Bereiche vertieft zu betrachten, etwa die Distribution. Dabei kann dann auch stärker mit mathematischen Modellen gearbeitet und der Anteil quantifizierbarer Faktoren erhöht werden.
BT: Ein weiterer Faktor ist die Konzentration auf Aspekte, die einen signifikanten Impact haben und nicht die dritte Nachkommastelle eines Modells beeinflussen. Man kann zum Beispiel zu der Erkenntnis gelangen, dass das Thema CO2-Emission zwar aus der Unternehmensperspektive enorm wichtig ist – aber nicht für die Entscheidung über den Footprint. So ist das etwa beim Automobil. Der wesentliche CO2-Ausstoß findet nach dem Verkauf statt. Die Hersteller müssen deshalb konsequent den Carbon Footprint ihrer Flotten verbessern – aber Standortentscheidungen haben darauf letztlich keinen Einfluss. Unsere Erfahrung zeigt, dass es dabei wesentlich ist, transparent zu machen, warum manche Faktoren ausgeblendet werden, um so die Akzeptanz der Entscheidungen abzusichern.
AS: Hier kommt auch unsere Erfahrung zum Tragen. ROI-EFESO begleitet seit vielen Jahren das Thema Footprint und hat ein umfangreiches Wissen über relevante Faktoren und Zusammenhänge, das wir in die Diskussionen einbringen. Wir können also Filter verwenden, um die Entscheidungsprozesse zu vereinfachen. Dabei versuchen wir in der ersten Iterationsstufe noch möglichst breit zu denken. Also eine erste Bewertung zu machen und dann die sinnvollen Varianten mit dem Kernteam herauszuarbeiten. Im weiteren Verlauf dann den Filter immer feiner einzustellen und wenige Szenarien detailliert auszuarbeiten.
Welche softwarebasierten Instrumente kommen in diesem Prozess zum Einsatz?
BT: Im Idealfall wird der Prozess auch didaktisch unterstützt, insbesondere durch smarte Tools, etwa zur Visualisierung komplexer Strukturen und Szenarien, wie bestehender und künftiger Netzwerke, Zwischenschritte und Zwischenergebnisse. Das erhöht die Möglichkeiten faktenbasierter Diskussionen und Entscheidungen – sowohl im Steuerungskreis als auch unter den Mitarbeitern im Team - und verbessert deutlich die Transparenz. Das Footprint-Thema ist komplex und vielschichtig, es ist häufig selbst für das Top-Management schwierig, das gesamte Bild vor Augen zu haben. Das ist das eine. Das andere sind Werkzeuge für Simulation, Optimierung, oder Risikobewertung. Hier existieren zahlreiche marktgängige Lösungen, die sinnvoll eingesetzt werden können. Man muss sich allerdings der Grenzen dieser Lösungen bewusst sein.
Wo liegen diese Grenzen?
AS: Die wirklich wichtigen Fragen bei Footprint-Initiativen beantwortet keine Software. Was möchte das Unternehmen erreichen? Welche Zielkonflikte bestehen und ist das Management sich dieser Konflikte bewusst? Lassen sich die Ziele im Kontext der konkreten Marktsituation und des generellen Umfeldes erreichen? Hinzu kommt, dass man beispielsweise den Produktionsprozess genau verstehen muss, um Auswirkungen von Verlagerungen einschätzen zu können. Kann ich Wertströme auseinanderreißen? Kann ich Halbfertigteil- und Fertigteilproduktionen trennen? Wo ist der Variantenentstehungspunkt? Solche Themen haben massiven Einfluss auf zukünftige Netzwerkstrukturen und lassen sich nicht mit Tools abdecken – sie erfordern Erfahrung, fachliches Knowhow und Leadership.