Operations-Prozesse der Chemieindustrie zukunftssicher gestalten
Experte: Fernando Cruzado | 10.06.2025 | Teilen auf in

Aktuelle Branchenstudie von EFESO und Chemical Week*: Führungskräfte der chemischen Industrie ordnen Marktherausforderungen ein
Gemeinsam mit dem Fachmagazin Chemical Week führte EFESO eine branchenweite Marktstudie unter TOP-Führungskräften aus der chemischen Prozessindustrie durch. Der Befragungsfokus lag darauf, ein besseres Verständnis für die aktuellen betrieblichen Herausforderungen zu erlangen, mit denen führende Chemieunternehmen aufgrund des Verlusts von Talenten und wichtigen fachlichen Kompetenzen konfrontiert sind. Zudem wurden die Teilnehmer zu den Maßnahmen befragt, die sie aktuell ergreifen, um die künftige Leistungsfähigkeit ihrer Unternehmen zu sichern.
Eine klare Mehrheit von 78% der Befragten gab an, dass der Verlust wichtiger Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten die aktuelle betriebliche Leistung ebenso beeinträchtigt wie das Potenzial zukünftiger Verbesserung. Nur ein Drittel der Befragten ist der Meinung, dass ihr derzeitiges Wissensmanagement und ihre Arbeitsprozesse wirksam dazu beigetragen haben, geschäftsrelevantes Wissen und institutionelle Erfahrungen zu erhalten.
*Die Erstveröffentlichung dieses Beitrages erfolgte über das Branchenportal Chemical Week im Januar 2025.

Quelle: Marktstudie “Future-Proof Your Operations“, EFESO Management Consultants & Chemical Week, 2025
57% der Befragten gaben an, dass der Bereich „Operations“ am stärksten vom Fachkräftemangel betroffen ist, dicht gefolgt von den Aspekten „Zuverlässigkeit“ mit 40%, „Engineering“ mit 39% und „Verbesserung“ mit 30%. Diese Ergebnisse unterstreichen die dringende Notwendigkeit für Unternehmen, ihre betrieblichen Strategien zu überdenken. Um zukünftig erfolgreich zu sein, sollten sie zudem effektivere Organisationsmodelle entwerfen und implementieren sowie leistungsorientierte Standardarbeitsprozesse einführen.

Quelle: Marktstudie “Future-Proof Your Operations“, EFESO Management Consultants & Chemical Week, 2025
Führung ist die Grundlage für zukunftssichere Operations-Prozesse
Die chemische Prozessindustrie ist mit immer neuen Herausforderungen in Bezug auf Fachkräfte, veränderten Marktbedingungen und einem steigendem Wettbewerbsdruck konfrontiert. Unsere Erfahrung zeigt, dass ein starkes Mandat der Geschäftsleitung unverzichtbar ist, um bedeutende betriebliche Transformationen voranzutreiben. In dieser Hinsicht verfügen erfolgreiche Führungskräfte, mit denen wir zusammenarbeiten, über eine überzeugende Vision sowie eine gut formulierte Begründung für Veränderungen. Zudem schaffen sie eine Kultur der operativen Disziplin und Verantwortlichkeit, welche sie in die Lage versetzt, nachhaltige Ergebnisse zu erzielen.
Was ist also erforderlich, um die genannten Herausforderungen zu meistern? Den Umfrageergebnissen und unserer Erfahrung nach treiben drei Erfolgsfaktoren Transformation im Operations-Kontext wirksam voran:
- Entwicklung leistungsorientierter, vorbildlicher Arbeitsstandards.
- Aufbau eines leistungsfähigen organisatorischen Umfeldes.
- Etablierung einer ergebnisorientierten Digitalisierungsstrategie.

Quelle: Marktstudie “Future-Proof Your Operations“, EFESO Management Consultants & Chemical Week, 2025

Entwicklung leistungsorientierter, vorbildlicher Arbeitsstandards
Die Standardisierung und Vereinfachung von Arbeitsprozessen sorgt nicht nur für ein berechenbareres, zuverlässigeres und effizienteres Betriebsumfeld, sondern verbessert auch die Fähigkeit von Unternehmen, neue Mitarbeiter zu gewinnen und zu qualifizieren. 80% der Befragten bewerteten diesen Aspekt als essenziell oder sehr wichtig – aber nur 9% gaben an, bereits entsprechende Prozesse vollständig implementiert zu haben. Dies zeigt eine erhebliche Umsetzungslücke, einen dringenden Handlungsbedarf und zugleich eine Chance zur Leistungsverbesserung auf.
Doch was macht die Standardisierung und Vereinfachung von Kernarbeitsabläufen für ein Unternehmen aus? Es bedeutet, klar definierte Prozesse und Arbeitsanweisungen zu schaffen und anhand bewährter Verfahren institutionelles Wissen zu kodifizieren. Außerdem sind einheitliche Rollen und Organisationsmodelle zu entwerfen und zu implementieren, um eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit und Leistungssteigerung zu fördern. Leistungsorientierte, vorbildliche Standardarbeitsprozesse und die entsprechende Neuausrichtung von Unternehmensorganisationen bieten einige Vorteile:
- Integration und Anwendung von Best Practices und Lernprozessen.
- Übergang von 80/20 reaktivem zu 80/20 proaktivem Handeln.
- Kostensenkungen bei verkauften Waren und Reduzierung von Verschwendung.
- Schafft klare Erwartungen und sorgt für bessere Abstimmung.
- Beschleunigung der Einarbeitung und Weiterqualifizierung.
- Macht Abstimmungslücken zwischen Rollen und Funktionen sichtbar.
- Ermöglicht ein effektiveres internes und externes Benchmarking.
Nach unserer Erfahrung wirken sich die Einführung dieser Prozesse und eine damit einhergehende Neuausrichtung der Organisationsstrukturen in mehrfacher Hinsicht positiv aus: sie reduzieren Risiken, ermöglichen Produktivitätssteigerungen von 15-20%, setzen 5-10 % zusätzliche Kapazitäten frei und verkürzen die Einarbeitungszeit neuer Mitarbeiter erheblich. Diese Zahlen sind kaum zu ignorieren, insbesondere in einem Wettbewerbsumfeld, das von Margendruck und geopolitische Unsicherheiten geprägt ist.
Marktführer der Chemieindustrie wissen, dass die Zukunftssicherheit ihrer Betriebe oberste Priorität hat. Das erfordert, institutionelles Wissen zu bewahren, essenzielle Fähigkeiten zu erhalten und nachhaltiges Wachstum zu begünstigen. Daraus resultierende Produktivitätsgewinne werden zusätzlich verbessert, wenn Unternehmen ihre Sicherheits-, Umwelt- und Kapitalplanung sowie -ausführung in standardisierte Arbeitsabläufe und Organisationsmodelle integrieren.

Aufbau eines leistungsfähigen organisatorischen Umfeldes
Die chemische Prozessindustrie galt lange Zeit als langsam und traditionell, während in anderen Branchen Innovationen schneller aufgegriffen und profitabel genutzt wurden. Bei der Ansprache und Bindung von Fachkräften kann sich dies als Nachteil erweisen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Unternehmen ein zielgerichtetes Leitbild und eine dynamische Vision für die Zukunft vermitteln. Im Idealfall motiviert ein gemeinsamer „Nordstern“ Mitarbeiter intrinsisch, ein Arbeitsumfeld auf operative Exzellenz auszurichten. Führungskräfte, die ein ansprechendes Bild der Zukunft zeichnen, welches durch eine konsistente, unternehmensweite Vision unterstützt wird, regen ihre Mitarbeiter dazu an, neue Methoden und Prozesse bereitwillig zu übernehmen. Für viele Unternehmen der Chemieindustrie erfordert dies, Wissensmanagementsysteme einzuführen und den Prozess eines kontinuierlichen, gemeinsamen Lernens zu starten und weiterzuentwickeln.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Überprüfung der Organisationsstruktur. Viele Chemieunternehmen richten derzeit ihre Organisationsstruktur neu aus, um besser auf zukünftige Herausforderungen und Chancen reagieren zu können. Die folgenden Maßnahmen nutzen wir insbesondere, um organisatorische Leistung und Agilität zu verbessern:
- Reduzierung der organisatorischen Ebenen; Verringerung der organisatorischen Komplexität und der Distanz zwischen Führungskräften und Shopfloor.
- Aufteilung der Rollen "Führen" und "Verbessern"; Sicherstellung organisatorischer Klarheit und Herstellung von Bedingungen, unter denen sich die Verantwortlichen für "Verbessern" auf zukünftige anstatt auf tagesaktuelle Prioritäten konzentrieren können.
- Nutzung von Synergieeffekten bei zentralen Unterstützungsfunktionen; Angleichung von Funktionen wie Engineering, Reliability usw.; Aufbau von Kompetenzzentren, um Best Practices konsequent an allen Standorten einzusetzen.
- Stärkung der Führungsrolle und des Führungsverständnisses; Entwicklung von Führungskräften in der Organisation, beginnend mit Kandidaten der Einstiegsebene.
- Etablierung der Rechenschaftspflicht im Prozess; Sicherstellung, dass die Rechenschaftspflicht so nah wie möglich am Prozess und an der Produktion verankert wird, um Engagement und bessere Entscheidungen zu gewährleisten.
- KPI-Transparenz und -Rechenschaftspflicht sicherstellen; klare KPI-Rechenschaftspflicht pro Rolle und Ankerfunktionen festlegen, um kontinuierliche Verbesserung voranzutreiben.
Erkennen die Mitarbeiter den Wert ihrer Arbeit und einen klaren Weg für ihre berufliche Entwicklung, festigt dies häufig auch die Bindung an das Unternehmen. Anerkennungsprogramme, eine Nachfolgeplanung und transparente Leistungsmanagementsysteme stärken die Eigenverantwortung und Rechenschaftspflicht. Anstatt in funktionalen Silos zu arbeiten, gehen die Teams zu einer funktionsübergreifenden Zusammenarbeit über. Dies wird im Idealfall durch Managementsysteme unterstützt, die ein unmittelbares Feedback zur Leistung liefern. Das Gefühl "zu wissen, wann man gewinnt" spornt zu schnellem und gezieltem Handeln an, macht kollektive Leistung besser erlebbar und führt zu Produktivitätssteigerungen.

Etablierung einer ergebnisorientierten Digitalisierungsstrategie
Während leistungsorientierte, vorbildliche Standardarbeitsprozesse die Basis für konsistente Betriebsabläufe schaffen, sorgen Digitalisierung und Automatisierung für optimal vernetzte Arbeitsumgebungen. Beispielsweise vereinfachen technologische Lösungen wie eine automatisierte Datenerfassung, Analyse-Dashboards und Managementsysteme für Operations / Maintenance Entscheidungsprozesse und reduzieren Komplexität.
Bei der Integration solcher Lösungen ist es häufig erfolgskritisch, wie ausgereift die Standardarbeitsprozesse des Unternehmens sind. Ohne zuverlässige, dokumentierte Arbeitsabläufe, klar definierte Rollen und Organisationsmodelle besteht die Gefahr, dass die Digitalisierungsbemühungen entweder zu eng oder zu weit gefasst sind oder nicht mit den praktischen Anforderungen des Tagesgeschäfts übereinstimmen. Erfolgreiche Unternehmen stellen daher eine ergebnisorientierte digitale Strategie mit einer Roadmap zu deren Umsetzung auf, um Verbesserungen zu beschleunigen.
Sobald optimale Standardarbeitsprozesse vorhanden sind, können digitale Lösungen eingesetzt werden, um Routineaufgaben zu beschleunigen, menschliche Fehler zu minimieren und qualifiziertes Personal von anderen Aufgaben zu entlasten und für wertstiftendere Tätigkeiten einzusetzen. Zudem sind diese Lösungen oftmals intuitiv bedienbar und visualisieren komplexe Informationen auf optimale Art und Weise für den jeweiligen Nutzer. Gerade für Entscheidungsträger, die operative Exzellenz über mehrere Standorte und Regionen hinweg vorantreiben, ist das von erheblichem Wert.
Blick in die Zukunft
Der Weg zu globalen, leistungsorientierten Standardarbeitsprozessen ist nicht immer einfach, aber realisierbar und ertragreich. Er startet mit einem klaren Commitment der TOP-Führungsriege, gefolgt von einer gründlichen Bewertung der aktuellen Prozesse und des organisatorischen Aufbaus. Die Erstellung standardisierter Roadmaps, Dokumentationen und detaillierter Rollenbeschreibungen bildet das greifbare Rahmenwerk eines jeden Transformationsprogramms.
Zudem ist ein begleitender kultureller Wandel von entscheidender Bedeutung. Er stellt sicher, dass sich die neuen Arbeitsweisen im gesamten Unternehmen durchsetzen. Kontroll- und Governance-Strukturen bestätigen, dass die Organisation auf dem richtigen Weg ist, und gewährleisten, dass die neu eingeführten Arbeitsweisen nachhaltig sind und für Wettbewerbsvorteile sorgen.
Letztendlich hat die chemische Prozessindustrie die Chance, sich selbst neu zu definieren – und überholte Vorstellungen abzulegen und betriebliche Best Practices als Quelle für Innovation, Wachstum und Mitarbeiterzufriedenheit zu nutzen. Angesichts der Tatsache, dass viele Unternehmen mit einem kritischen Talentverlust und dem Fachkräftemangel in der Branche zu kämpfen haben, sollten sie nun entschlossen handeln.
Autoren
Chuck Deise, Senior Vice President & Senior Partner Chemical & Process Industries, Americas
Fernando Cruzado, VP/Partner & Head of Chemical Industry Northern Europe & Middle East
Mike Matlock, Senior Advisor, Chemical & Process Industries, Americas
Alan Free, Senior Vice President & Partner, Americas
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