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Interview

„Organisation und Leadership sind die erfolgskritischen Handlungsfelder.“

Experte:    Tayfun Kaymakci   |   28.05.2024   |   Teilen auf in

Herr Kaymakci, beim INDUSTRIAL FUTURE DAY (IFD) im April tauschten sich über 200 Experten aus der Industrie dazu aus, wie unternehmerische Wertschöpfung digital, resilient und nachhaltig gestaltet werden kann.

Gab es Interessen oder inhaltliche Schnittmengen, die den Gästen besonders wichtig waren?

TK: Sicherlich war die nach wie vor intensive Auseinandersetzung mit der digitalen Transformation der Unternehmen ein gemeinsamer Nenner. Hier fiel auf, das viele noch einen Weg suchen, um strategische Zielsetzung und operative Umsetzung miteinander in Einklang zu bringen. Einige Unternehmen verwirklichen bereits mustergültig Use Cases in ihren Werken oder sogar in Ecosystemen mit Kunden und Lieferanten – zugleich gibt es oftmals Nachholbedarf bei einer durchgängigen Digitalstrategie und einem klaren Zielbild.

Eine zielgerichtete Ausrichtung ist aber entscheidend, um notwendige Veränderungen in der Organisation erfolgreich zu gestalten. Die Best Practice-Vorträge mit dem Schwerpunkt „Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft“ zeigten zum Beispiel, dass die digitale und ökologische Transformation ähnliche Ziele verfolgt und zu neuen Geschäftsmodellen sowie erheblichen Kosteneinsparungen führt. Beide Themen sollten also miteinander verbunden werden, zumal der Einsatz digitaler Tools für ein ressourcenschonendes und effizientes Wirtschaften inzwischen unabdingbar ist.

 

Wie kommt es zu diesem Nachholbedarf auf strategischer Ebene?

TK: Die Gründe dafür sind vielschichtig und hängen oft mit den unternehmensinternen Strukturen zusammen. Zwei Punkte lassen sich immer wieder beobachten: Erstens, die Vielzahl an unterschiedlichen Perspektiven und Interessen, die in Einklang gebracht werden müssen. Dies verlangsamt insbesondere in größeren Unternehmen den Prozess, eine klare Strategie mit konkreten Handlungsfeldern zu formulieren. Zusätzlich erschwert es eine heterogene IT-Landschaft häufig, datenbasierte Prozesse aufzusetzen und damit die Voraussetzungen für eine nachhaltige Digitalstrategie zu schaffen.

Zweitens konzentrieren sich viele Unternehmen darauf, mit digitalen Technologien die „low hanging fruits“ anzugehen, etwa kurzfristige Effizienzsteigerungen und Kostenoptimierungen. Das ist richtig, aber es braucht eben auch einen ganzheitlichen Blick auf die Digitalisierung, um daraus die richtigen Maßnahmen für die Zukunft abzuleiten.

 

Was wiederum Know-how und Zeit erfordert ...

TK: Richtig, das ist ein weiterer Aspekt, der bei unserem Event deutlich wurde: diese Zeit ist für die deutsche Industrie kaum mehr vorhanden. Die Referenten beim IFD zeigten mustergültig, inwiefern einzelne Unternehmen in Deutschland schon sehr gut und sehr schnell unterwegs sind. Also zum Beispiel kein Overengineering für jedes Detail mehr betreiben, sondern digitale Lösungen experimentierfreudig und pragmatisch selbst entwickeln – oder sich ein Ecosystem an Partnern aufbauen, um die Transformationslast auf mehrere Schultern zu verteilen.

Im globalen Wettbewerb ist für die deutsche Industrie in Summe aber noch viel „Luft nach oben“, um konkurrenzfähiger zu sein und nicht den Anschluss zu verlieren. Schließlich ist die Digitalisierung ja nicht nur ein Thema der Produktion. Sie betrifft die gesamte Wertschöpfungskette mit Kunden, Lieferanten und Partnern. Und das die Kunden zunehmend schnelle, digitale Workflows erwarten, bestätigten auch einige Erfahrungswerte aus den Keynotes und Workshop-Sessions.

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Bestehen Ihrer Ansicht nach noch Chancen, um das Tempo der Digitalisierung zu erhöhen? 

TK: Auf jeden Fall. Zumal Erfahrungswerte aus erfolgreichen Transformationen in der Vergangenheit vorhanden sind, etwa aus der Etablierung des Themas Lean Management in der Industrie. Hier gibt es Parallelen: vor ungefähr 30 Jahren starteten viele Unternehmen Lean-Initiativen ebenfalls methodenlastig und ohne eine umfassende Strategie. Und damals wie heute sind Organisation und Leadership die erfolgskritischen Handlungsfelder, um eine nachhaltige Transformation zu gewährleisten.

Führungskräfte benötigen also den richtigen Mindset und die richtigen Tools, um den Change zu begleiten, Mitarbeiter zu qualifizieren und die Organisation zu befähigen – sei es, um an Geschwindigkeit zu gewinnen oder um sich auf bestimmte Themen und Ziele zu fokussieren. Dieser Bedarf an Führungskompetenz ist offensichtlich und stellte daher auch einen Schwerpunkt bei unseren Digital Leadership Workshops beim IFD dar.

 

Bitte nennen Sie uns ein Best-Practice-Beispiel für Digital Leadership vom INDUSTRIAL FUTURE DAY, das gute Orientierungspunkte bietet. 

TK: Wie man Digital Leadership operativ in der Produktion realisiert, wurde im Vortrag von BOSCH veranschaulicht, bei dem es um die digitalen täglichen Führungsroutinen im Werksstandort Blaichach ging. Dort löst ein einheitlicher Führungsprozess Herausforderungen im Tagesgeschäft nachhaltig, was das Werk mit automatisierten Prozessen zur Informationsgewinnung unterstützt. Ein weiteres Beispiel ist, dass dort Tandems aus Prozessingenieuren und Data Scientists gebildet werden. Diese Tandems kombinieren Data-Analytics-Expertise mit tiefer Prozesskenntnis. Somit beschleunigen sie etwa die Identifikation und Implementierung potenzieller Use Cases für maschinelles Lernen vor Ort. Dies zeigt, wie wichtig ein interdisziplinärer Ansatz und crossfunktionale Teams sind.

Führungskräfte können diesen Prozess unterstützen, indem sie den richtigen Rahmen schaffen und die benötigten Kompetenzträger zusammenbringen. Agile Führung ist hier das Stichwort – es geht darum, selbstorganisierte Teams aufzustellen und flexible Entscheidungsstrukturen zu schaffen, die die Umsetzungsgeschwindigkeit erhöhen.

Digital Leadership sollte einen interdisziplinärer Ansatz verfolgen.

Gibt es auch ein Beispiel dazu, wie Unternehmen mit technologischen Lösungsanbietern Transformationshürden bewältigen und an Geschwindigkeit gewinnen können? 

TK: Ja, dazu gab es u.a. sehr interessante Einblicke von Norbert Weichele zur KI-basierten Optimierung der Produktionsplanung bei Zentis. Das Unternehmen arbeitet hierzu mit dem Lösungsanbieter OMMM zusammen, der auf eine KI-basierte Operations Management Software für optimale Planungslösungen in Echtzeit spezialisiert ist. Als Add-on für jedes bestehende ERP-System bietet das Unternehmen KI-basierte Planungsmodule für die Bedarfs-, Absatz-, Bestands- und Produktionsplanung.

OMMM war übrigens mit vielen weiteren Lösungsanbietern aus unserem Partnernetzwerk in der Fachaustellung des Industrial Future Day vor Ort vertreten. Wir konnten damit den Teilnehmer:innen die End-to-End-Architektur unseres Ecosystems zugänglich machen. Die Aussteller stellten hier ein sehr beeindruckendes Portfolio an Industrie 4.0-Technologien vor, insbesondere für Einsatzfelder wie Produktentwicklung, Supply Chain Management, Instandhaltung und für die Future Factory.

 

Wie lassen sich die zuvor genannten Herausforderungen bei Digitalisierung und Nachhhaltigkeit über die Mitarbeiterqualifizierung lösen? Welche Punkte sollten Unternehmen hier adressieren? 

TK: Zunächst einmal ist es wichtig, das Bewusstsein und die Bereitschaft zur Veränderung bei den Führungskräften zu stärken. In vielen Unternehmen suchen auch die Führungskräfte selbst noch ihren persönlichen „Transformationspfad“ und benötigen die passende Qualifizierung, um den Veränderungsprozess erfolgreich zu begleiten.

Wenn auf der Ebene der Werks- und Abteilungsleiter ein abgestimmtes Zielbild und Vorgehen existiert, lassen sich die benötigten Kompetenzen definieren. Im nächsten Schritt werden die Kompetenzen priorisiert und die zielgruppenbezogenen Qualifizierungsbedarfe systematisch erhoben. Dies ist dann die Basis, um die Qualifizierungsmaßnahmen vorzunehmen, die dem Unternehmen einen direkten Mehrwert bringen, beispielsweise in Form einer verbesserten Führung, schnelleren Umsetzung oder effizienteren Arbeitsweise.

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Anna Reitinger

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