Industrie 4.0 ersetzt nicht Menschen, sondern Geschäftsmodelle

Interview mit Torsten Rehder, Director Knowledge TrendONE GmbH

DIALOG: Herr Rehder, Trend-One beobachtet weltweit die Entstehung von Innovationen und Trends. Wo spielt in den nächsten Jahren die Musik in Sachen Internet of Things (IoT) und wo sehen Sie Europa in diesem Wettbewerb?

TR: Europa hat die erste Welle der Digitalisierung verschlafen: Nahezu alle großen Internetunternehmen sitzen in den USA. In der Industrie 4.0 ist IKT-Kompetenz aber eben nur eine der Voraussetzungen für den Erfolg. Entscheidend wird es sein, diese Kompetenz im industriellen Bereich anzuwenden. Wenn man traditionelle Produktionstechnologie, in der Europa immer noch führend ist, intelligent mit der neuen IT vernetzt, ist Europa gut aufgestellt und kann zum Innovationsführer in der Industrie 4.0 werden. Langfristig können wir so die Produktion zurück nach Europa holen und etwa in „Speed Factories“ automatisierte Einzelfertigung zu Preisen der Massenfertigung anbieten.

DIALOG: Das IoT ist in der Unternehmensrealität angekommen – hat dies tatsächlich ein disruptives Potenzial?

TR: Ob die Entwicklung für die Unternehmen als „disruptiv“ wahrgenommen wird, hängt aus meiner Sicht auch von der Branche ab. In der FMCG-Branche oder dem Automobilbau etwa ist der Einzug des Digitalen nichts bahnbrechend Neues mehr. Es ist wichtig zu verstehen, dass das IoT kein neuer Kanal oder ein neues Feature ist, sondern vielmehr ein neuer Layer, der sich über sämtliche Funktionen eines Unternehmens legt. 
Das Disruptive ist aus meiner Sicht zum einen, dass durch das IoT neue Geschäftsmodelle auf Basis von Daten entstehen und zum anderen die Möglichkeit einer Losgröße 1 zu Preisen der Massenfertigung anbieten zu können. Industrie 4.0 ersetzt nicht Menschen, sondern Geschäftsmodelle.

DIALOG: Wie erkennen Unternehmen, ob eine Endverbraucherorientierte Innovation wie Google Glass auch in der Industrie einen Mehrwert stiften kann?

TR: Ausprobieren! Trial and Error und ein ordentlicher Schuss von der agilen Start-Up-Mentalität, mit Technologien zu experimentieren, schnell verschiedene Prototypen zu bauen, diese stetig anzupassen, zu verbessern oder auch rigoros wieder einzustampfen. Es hilft nicht, erst einen kompletten globalen Business Case durchzurechnen. Erfolgsversprechender ist es, überschaubare Trials aufsetzen, diese mit qualitativen Zielen zu versehen und die Ziele permanent zu überprüfen. Bei großen Unternehmen funktioniert das am besten durch ein ausgegliedertes, autonom operierendes Venture.

DIALOG: Beschleunigt das IoT die Aufhebung der Grenzen zwischen B2C- und B2B-Branchen?

TR: Davon ist auszugehen. Eine maßgebliche Veränderung durch die Digitalisierung und Datafizierung ist, dass Unternehmen – zumeist IT Unternehmen – in neue Branchen eintreten können, ohne diese im Kern überhaupt verstehen zu müssen. Ihre Kernkompetenz besteht darin, digitale Produkte und Services zu designen. Daten sind für die Industrie 4.0 nun mal der erfolgskritische Rohstoff. Player, die schon Erfahrung im Aufbau von datenbasierten Geschäftsmodellen haben, sei es auch im B2C-Bereich, treiben die Konvergenz unterschiedlicher Branchen zwangsläufig voran. Was meinen Sie, was passiert, wenn Google über seinen NEST Thermostaten in Zukunft nicht nur Informationen sondern auch Energie koordiniert?

 

„Das Internet der Dinge ist kein neues Feature, sondern ein neuer Layer über sämtlichen Funktionen eines Unternehmens.“