Dynamik mit System – die Innovationsstrategie der Brose Gruppe

DIALOG: Wie wichtig sind Innovationen für Ihr Unternehmen?
JO: Sie sind der wesentliche Erfolgsfaktor. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, mit neuen Ideen zum Erfolg unserer Kunden beizutragen. Hierfür müssen unsere Innovationen stets nutzenorientiert und wirtschaftlich sein, denn nur die Marktfähigkeit des neuen Produkts bestimmt den Wert der Innovation. Mit fast acht Prozent vom Jahresumsatz liegen unsere Investitionen in Forschung und Entwicklung deutlich über dem Branchendurchschnitt.

DIALOG: Kosten-, Zeitund Innovationsdruck steigen stetig – wie gehen Sie mit diesen immer größer werdenden Anforderungen um?
JO: Unser Leitmotiv lautet ‚Dynamik mit System‘. Ziel ist es, mit großer Systematik und Methodik bei hoher Eigenverantwortung und entsprechenden Handlungsspielräumen, schnell auf die sich ändernden Marktanforderungen zu reagieren. Auf diese Weise entstehen zielgerichtet Innovationen am Produkt und im Prozess. Neue, kreative Ideen sollen sich in effizienten, produktiven Bahnen entfalten. Dies erfolgt durch eine Orientierung gebende Führung und eine klare Arbeitsorganisation.

DIALOG: Wie schaffen Sie es, in den innovativen Bereichen die Effizienz zu erhöhen, aber gleichzeitig auch Innovationsfähigkeit im Haus zu halten?
JO: Zunächst gilt es, die Entwicklungsschwerpunkte festzulegen. Diese sind bei uns durch das Produktprogramm definiert. Wir sind Spezialist für mechatronische Komponenten und Systeme für die Karosserie und den Innenraum von Kraftfahrzeugen. Auf diesen Gebieten haben wir über Jahrzehnte permanent unsere technische Kompetenz ausgebaut und uns in den meisten Produktbereichen als Weltmarktführer etabliert. Unser klarer Anspruch dabei lautet: Konzentration auf wenige Arbeitsgebiete und in diesen Kerngeschäftsfeldern die Nummer eins zu sein, hinsichtlich Technologie, Qualität, Innovation und Wirtschaftlichkeit.

DIALOG: Haben Sie konkrete Entwicklungskompetenzen definiert, die Sie nie außer Haus geben würden?
JO: Die Wertschöpfungstiefe in unserer Entwicklung ist immer so hoch, dass wir die wesentlichen Komponenten unserer Produkte selbst entwickeln und fertigen können. Dies schließt auch das Produktgebiet Elektronik ein. Und zwar nicht nur die Soft- und Hardware-Entwicklung, sondern auch die Produktion.

DIALOG: Wie definieren Sie den Anteil an eigener Wertschöpfung?
JO: Das ist je nach Produkt und Region unterschiedlich. Zum einen lassen wir bei Lieferanten produzieren. Zum anderen fertigen wir einen definierten Umfang selbst. Hier wird eines unserer Grundprinzipien erkennbar: Jede unserer Komponenten so detailliert zu beherrschen, dass wir selbst Teil des Innovationsprozesses sind. Auf diese Weise sind wir gleichzeitig Empfänger einer Innovation, aber auch Treiber.

„Mit fast acht Prozent vom Jahresumsatz liegen unsere Investitionen in Forschung und Entwicklung deutlich über dem Branchendurchschnitt.”

DIALOG: Sie wollen nur einen Teil des Eigenbedarfs selbst fertigen?
JO: Das ist richtig, den überwiegenden Teil unseres Bedarfs kaufen wir zu.

DIALOG: Kaufen Sie aus Volumengründen zu oder weil es sich um Technologien handelt, die Sie im Haus nicht fertigen möchten?
JO: Wir agieren so, um flexibel auf Marktveränderungen und Technologiewechsel reagieren zu können. Das kann man am besten, wenn man mehrere Partner hat – vielleicht sogar mit unterschiedlichen Schwerpunkten – in verschiedenen Regionen, die auch in unterschiedlichen Währungen anbieten können. Damit halten wir den Wettbewerb zwischen Eigen- und Fremdfertigung aufrecht.

DIALOG: Wie intensiv setzen Sie externe Entwickler ein?
JO: In erster Linie in Bereichen, die nicht zu unserem Kern-Know-how zählen, also etwa bei der Applikation. Wir nutzen Entwicklungsdienstleister zum Glätten von Kapazitätsspitzen oder für sehr spezifische Fragestellungen.

DIALOG: Sie haben außerhalb Deutschlands auch große Entwicklungsstandorte im Nafta-Raum sowie in Asien. Wie haben Sie die Kompetenzen aufgeteilt?
JO: Es gibt Kernkompetenzen, die wir in Deutschland pflegen und weiter entwickeln. Dies betrifft vor allem die Grundlagenentwicklung. In diesen Feldern findet in den Regionen vor Ort die Applikationsentwicklung statt, d.h. die kundenspezifische Ausprägung und Weiterentwicklung unserer Produkte. Das gilt insbesondere für die Erzeugnisse, die wir auch in den europäischen Markt liefern. In Indien hin- gegen, wo es um Produkte für einfache Fahrzeuge geht, entwickeln wir komplett vor Ort. Dafür bauen wir entsprechende Kunden- und Entwicklungsteams auf.

DIALOG: Setzen diese Teams auf Grundlagenentwicklungen auf, die in Deutschland stattgefunden haben?
JO: Zum Teil. Letztlich gilt es jedoch, den Anforderungen des Marktes gerecht zu werden. Nur wenn die gewonnenen Grundlagen auf die entsprechenden Märkte ausgerichtet sind, lassen sich auch die Kostenziele, die in diesen Märkten gelten, erreichen. Die Anforderungen und Möglichkeiten sind in den einzelnen Regionen unterschiedlich. Folglich müssen unsere Entwickler vor Ort neue Wege einschlagen, um sich dem Marktniveau anzunähern.

DIALOG: Wie bewältigen Sie den Spagat zwischen Prozessorientierung auf der einen Seite sowie Funktionsorientierung und Know-how-Tiefe auf der anderen Seite?
JO: Diese Herausforderung begegnet uns vor allem angesichts des starken internationalen Wachstums. Dabei stellt sich die Aufgabe, regionale Entwicklungszentren zur Bedienung des Marktes mit seinen spezifischen Anforderungen aufzubauen. Gleichzeitig gilt es, das Kern-Know-how immer stärker zu bündeln und weiter zu entwickeln, um das Wissen und die Erfahrung weltweit zur Verfügung stellen zu können. Deshalb haben wir die Matrix- Organisation gewählt. Sie besteht zum einen aus divisionalen Einheiten mit Geschäftsbereichen für die verschiedenen Produktgebiete, die auch ergebnisverantwortlich sind. Zum anderen stehen dem Funktionalbereiche wie Einkauf, Produktion und die kaufmännischen Funktionen gegenüber. So verfügen wir auf der einen Seite über sehr markt- und kundenorientierte Geschäftsbereiche, die prozessorientiert die Verantwortung tragen. Auf der anderen Seite zentralistisch aufgestellte Funktionsbereiche, die weltweit technologische Standards durchsetzen, Synergie- Effekte erschließen und die Zusammenarbeit regeln.

DIALOG: Es reicht heute nicht mehr aus, gute Innovationen zu haben. Man muss sie auch noch als erster auf den Markt bringen.
JO: Neben unserer starken Kundenausrichtung sind wir auch dafür bekannt, dass wir Trends frühzeitig erkennen und Produkte schnell zur Marktreife bringen. Dies gelingt nur in einer Arbeitsorganisation, die nicht bürokratisch ist, sondern pragmatisch und am Produkt orientiert. Die Mitarbeiter in unserer ‚Ideenwerkstatt‘ sind von administrativen Tätigkeiten weitestgehend befreit und können sich somit stärker Innovationen widmen. Hinter dem Begriff Ideenwerkstatt verbirgt sich nicht nur das Arbeiten am CAD-Bildschirm, sondern die sofortige technische Umsetzung von Ideen.

DIALOG: Wie sieht die Ideenwerkstatt konkret aus?
JO: Es handelt sich um ein Team von Mitarbeitern ganz unterschiedlicher technischer Disziplinen: vom Vorentwickler über den hochqualifizierten Musterbauer bis hin zu Spezialisten, die für eine ganz konkrete Arbeitsaufgabe benötigt werden – beispielsweise Elektroniker. 

DIALOG: Besteht dieses Team dauerhaft oder wird es je nach Thema neu zusammengestellt? 
JO: Das Kernteam arbeitet dauerhaft zusammen und wird auch durch Externe ergänzt, um bestimmte Aufgaben in kürzester Zeit abzuarbeiten und umzusetzen. Wir haben mehrere dieser Teams implementiert, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten an neuen Produkten arbeiten. Auch Kunden werden im Rahmen von Vorentwicklungsprojekten zum Teil exklusiv und frühzeitig eingebunden.

DIALOG: Worin liegt der große Vorteil dieser Organisation?
JO: Wir sind viel schneller. Früher bearbeitete der Vorentwickler ein Thema, dann wurde es begutachtet. Im Anschluss daran kam der Fertigungsexperte ins Spiel, daraufhin der Vertrieb – unterdessen war oft schon ein halbes Jahr vergangen. Jetzt können wir in enger Abstimmung mit dem Kunden Produktinnovationen viel schneller umsetzen und gemeinsam vermarkten.

„Unsere Entwickler müssen vor Ort neue Wege einschlagen, um sich dem Marktniveau anzunähern.”