„Die Ladeinfrastruktur ist die Achillesferse der Elektromobilität“

„Neue Geschäftsmodelle entstehen und bleiben dort bestehen, wo der Markt wächst.“
 

DIALOG: Herr Stoppok, an welchen Stellen verändert die Elektromobilität den automobilen Lebenszyklus Ihrer Ansicht nach am stärksten?

CS: Generell wird sich nicht nur das Auto, sondern auch das ganze System verändern. Beim Auto ist klar: Gewisse Komponenten werden einfach obsolet sein. Das betrifft beispielsweise den Tank, das Getriebe oder den Auspuff. Natürlich werden neue Bauteile dazukommen, die allerdings in ihrer Komplexität etwas reduzierter sind. Damit wird sich auch das ganze Umfeld, sei es die Wartung oder die Diagnose, erheblich vereinfachen. Veränderungen stehen allerdings auch in der Infrastruktur an: nicht die herkömmlichen Ölkonzerne, sondern Unternehmen aus der Elektroindustrie oder der Automation werden Ladesäulen anbieten – wie es Fabrikausrüster bereits heute in großem Stil tun. In kleinerem Maßstab gibt es ähnliche Entwicklungen beispielsweise bei Installationsfirmen, die die Wohnhäuser auf- bzw. nachrüsten müssen. Denn im heutigen Hausbestand ist es teilweise gar nicht möglich, mehrere Autos gleichzeitig zu laden. Diese Handwerksfirmen werden entsprechend neue Geschäftsmodelle entwickeln.

DIALOG: Gleichzeitig steht durch den Wegfall der Komponenten die Existenz verschiedener Zulieferer auf dem Spiel. Welche Auswirkungen hat dies für Unternehmen in der Elektroindustrie?

CS: Es wird Gewinner und Verlierer geben. Unternehmen, die nur einzelne Komponenten herstellen, werden sicherlich große Schwierigkeiten haben, wenn dieses Teil wegfällt. Wer sich im Markt behaupten kann, es aber trotzdem schwer haben wird, sind die großen Tier-1-Zulieferer, die heute schon Systemlieferanten sind. Ab einer gewissen Größe können sie einfach ihr Portfolio umschichten, weil sie ein sehr breites Angebot haben. Die Spezialisten, die nur einzelne Produkte anbieten, können zwar noch in ihrer Nische eine gewisse Zeit lang überleben – aber nicht dauerhaft. Man muss dabei natürlich berücksichtigen, dass das herkömmliche Auto nicht über Nacht verschwindet. Das kann noch bis zu 20 oder 30 Jahre dauern. Aber dennoch ist es schwer, in schrumpfen Märkten ein dauerhaftes Geschäftsmodell aufrechtzuerhalten. Denn neue Geschäftsmodelle entstehen und bleiben dort bestehen, wo der Markt wächst.


DIALOG: Ein Weg, um auf die Veränderungen im Markt zu reagieren, sind Kooperationen, etwa zwischen Maschinenbauern und Automobilherstellern. Wie gelingen solche Partnerschaften?

CS: Wenn solche Partnerschaften entstehen, müssen beide Seiten etwas davon haben. In der Regel läuft das so: Der eine kennt den Markt und der andere hat ein gutes Produkt, das aber noch nicht im Markt eingeführt ist. Auf diese Art und Weise kann bereits eine Win-win-Situation entstehen. Für einige Elektrounternehmen gibt es da gute Optionen, aber auch für Softwareunternehmen, die mit dem Automobilmarkt bislang noch nicht in Berührung gekommen sind. Gerade die ganzen Software- und Elektrotechnikunternehmen haben ein großes Potenzial, wenn sie sich mit klassischen Automobilzulieferern zusammentun. Aber natürlich ist das keine Erfolgsgarantie und trifft nicht für alle Branchen zu: Maschinenbauunternehmen zählen sicherlich nicht zu den großen Gewinnern, denn das Thema Mechanik wird schrumpfen. Sicherlich wird es auch morgen noch Karosserien und Bremsscheiben geben, aber viele mechanische Komponenten werden wegfallen.


DIALOG: Was bremst die Elektromobilität derzeit noch?

CS: Bei der Elektromobilität handelt es sich um eine neue Systemtechnologie. Einerseits müssen die Autos innovativer, also attraktiver werden. Sprich, sie müssen all das können, was das jetzige Auto kann und vielleicht noch ein bisschen mehr. Doch was dazu kommt: Die Ladeinfrastruktur muss verfügbar sein, da haben wir im Moment das größte Problem. Man kann heute in Deutschland kein E-Fahrzeug alltagstauglich betreiben. Denn in 90 bis 95 Prozent der Fälle fehlt die Möglichkeit zum alltagstauglichen Aufladen. Es gibt zurzeit
schlicht keine denkbaren Geschäftsmodelle für eine Ladeinfrastruktur. Deswegen wird leider in den nächsten Jahren die Politik an dieser Stelle gefordert sein, so lange finanzielle Unterstützung zu leisten, bis dort ein selbsttragendes Geschäftsmodell entstehen kann. Denn die Ladeinfrastruktur ist zurzeit die Achillesferse der Elektromobilität in Deutschland. Das kann auch die Industrie alleine nicht leisten – weder die Energieversorger, die ihren Strom kostendeckend anbieten müssen, noch die Automobilhersteller, die sich zu einem Konsortium zusammenschließen, um eine Grundabdeckung von Ladesäulen entlang der Autobahnen aufzubauen. Das lässt sich zurzeit einfach nicht so betreiben, dass es sich finanziell rechnet.


DIALOG: Wie müssen sich Elektroautos verändern, um für den Kunden genauso attraktiv zu sein wie konventionelle Fahrzeuge?

CS: Das Elektroauto, das sich morgen verkauft, wird sich völlig anders darstellen als der bloße Ersatz des herkömmlichen Fahrzeugs mit einem Verbrennungsmotor. Das ist auch der zentrale Grund, warum sich Elektrofahrzeuge bislang noch keinen nennenswerten Durchbruch erreicht haben. Die aktuellen Modelle bieten nicht die Innovationen, die anspruchsvolle Nutzer erwarten, sondern sogar weniger als das gängige Fahrzeug: Geringere Reichweite, höhere Preise, längeres Laden – all diese Dinge sind Hemmnisse.


„Man kann heute in Deutschland kein E-Fahrzeug alltagstauglich betreiben.“
 

Über den ZVEI – Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V.

Der ZVEI setzt sich für die gemeinsamen Interessen der Elektroindustrie in Deutschland und auf internationaler Ebene ein. Getragen wird dieses Engagement von rund 160 Mitarbeitern im Hauptamt und über 5.000 Angehörigen der Mitgliedsunternehmen im Ehrenamt. Der ZVEI repräsentiert mit seinen 22 Fachverbänden und vier korporativen Mitgliedern eine Branche mit 178,2 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2015 und rund 850.000 Beschäftigten. Mit den noch einmal 704.000 Mitarbeitern außerhalb Deutschlands ist die Wertschöpfung der Elektroindustrie am stärksten von allen Branchen global vernetzt.

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