New Old Economy: Überleben im Zeitalter der Konvergenz

Überleben im Zeitalter der Konvergenz

Bereits Ende des vergangenen Jahrhunderts begann das, was wir heute als Konvergenz bezeichnen – die Grenzen zwischen den Branchen und damit auch etablierte Marktkonturen gerieten in Bewegung und wurden verschwommen. Für die TIMEBranchen, die als erste davon betroffen waren, wurde damit eine Zeitenwende eingeläutet: Der potenzielle Markt wurde größer, allerdings auch die Gefahr, im eigenen Markt von bislang völlig unbekannten Wettbewerbern angegriffen zu werden. Über Jahrzehnte etablierte Geschäftsmodelle standen plötzlich zur Disposition, dringend gebraucht wurden neue Produkte, Services und Strategien, um mit der Unsicherheit, den Chancen und Bedrohungen umzugehen. Diese auch heute noch fortdauernde Transformation wandelte die IT-, Telekommunikations- und Medienindustrie grundlegend und veränderte die Gleichgewichte der Märkte in einem historischen Ausmaß. Die „Old Economy“ blieb in diesem Prozess zunächst interessierter Zuschauer – es dauerte weitere zehn Jahre, bis die Nebelschwaden der Digitalisierung auch vor den Fabriken der Automobil- und Maschinenbauer aufzogen.

Die Schlüsselrolle der Industrie 4.0

Heute ist die Konvergenz auf zwei Ebenen zu einem zentralen strategischen Faktor für die beiden Branchen geworden: Wie lassen sich durch die Integration branchenfremder Technologien produkt- und produktionsspezifische Aufgaben effizient bewältigen und wie können durch branchenübergreifende Ansätze neue Geschäftsmodelle kreiert werden? Bei der Beantwortung dieser Fragen spielt die Entwicklung der Industrie 4.0 eine zentrale Rolle. Sie ist nicht nur ein mächtiger Hebel zur Steigerung der Effizienz, sondern vor allem ein Transmissionskanal für technologieund branchenübergreifende Geschäftsmodelle. Die Analysten der Experton Group gehen sogar so weit, Industrie 4.0 primär als die Erweiterung des Dienstleistungsangebotes der klassischen Industrien zu definieren.

 

„Wissen wäre fatal. Es ist die Ungewissheit, die uns reizt. Ein Nebel macht die Dinge wunderschön.“ Oscar Wilde, Das Bildnis des Dorian Gray

 

In dem Nebel der Konvergenz, der die Konturen bestehender Räume verwischt und neue Wege denken lässt, werden damit schier unbegrenzte Chancen für die klassischen Industrien sichtbar. Erstmals in ihrer Geschichte sind sie in der Lage, ihren Kunden nicht Produkte, sondern Lösungen für komplexe Fragen zu verkaufen. Wie kann ich einen komplett mobilen Lebenswandel organisieren, statt einfach Handys oder Autos zu verkaufen? Wie lässt sich ein umfassendes Energiemanagement gewährleisten, statt Kilowattstunden über Hochleitungen zu jagen? Wie eine resiliente, effiziente und hochwirtschaftliche Produktion aufbauen, statt lediglich Maschinenparks auszustatten?

Konvergenz heißt auch Kooperation und Konkurrenz

Die mit dieser Ausweitung der Zielmärkte verbunden Potenziale sind enorm. Doch sie stellen auch höchste Ansprüche an die strategischen, technologischen und auch kulturellen Kompetenzen der Unternehmen. Wenn Unternehmen aus mehreren Branchen ein bestimmtes Angebot in den Markt bringen können, steigt die Intensität und Komplexität sowohl des Wettbewerbs „aller gegen alle“ als auch neuartiger, branchenübergreifender Kooperationsmodelle enorm. Die daraus resultierenden Herausforderungen sind vor allem für diejenigen Unternehmen brisant, die sich einerseits nicht bereits vor Jahren auf diese Entwicklung eingestellt haben und andererseits nicht über die Marktmacht und die Ressourcen großer ITK-, Logistik-, Energie- oder Fahrzeugkonzerne verfügen – eine Situation die etwa im Maschinenbau, aber auch in der Zulieferindustrie im Automobilbau typisch ist.

 

„Industrie 4.0 ist nicht nur ein Hebel zur Steigerung der Effizienz, sondern vor allem ein Transmissionskanal für technologie- und branchenübergreifende Geschäftsmodelle.“

 

Konvergenz-Roadmap: In sechs Schritten zur digitalen Zukunft

Erforderlich ist deshalb eine Konvergenz-Roadmap, eine Landkarte durch den Nebel sich überlappender Branchen, Technologien und Geschäftsmodelle, die dabei hilft, jenseits alter Gewissheiten und Methoden robuste Strategien für ein digitales Zeitalter zu entwickeln. ROI hat sechs entscheidende Faktoren identifiziert, die als Leitfaden für eine strukturierte Strategie dienen können.
 

1. Szenario-Management und Trend-Monitoring 

Ist ein Trend eindeutig erkennbar, ist es häufig schon zu spät, um nachhaltigen Nutzen daraus zu ziehen. Unternehmen brauchen deshalb einen sogenannten „Before Fact Approach“, um schwache Signale zu erkennen und zu interpretieren. Den Schlüssel dazu bilden strukturelle und kulturelle Offenheit, die es ermöglicht, das Wissen und die Intelligenz unterschiedlichster Netzwerkpartner und externer Wissensträger einzubeziehen und andere Branchen und Märkte systematisch zu beobachten.


2. Technologieradar und Technologiestrategie 

Gleichzeitig müssen im Zuge der Konvergenz viele Fragen im Hinblick auf Technologien zur Erhöhung der Digitalisierung sowie zur Nutzung und Verarbeitung von Daten systematisch beantwortet werden: Welche Technologien sind reif, aber uninteressant? Welche aktuell unreif aber besonders interessant? Welche können wir selbst beeinflussen und welche nicht?


3. Überprüfung des Geschäftsmodellportfolios 

Ökonomische, gesellschaftliche und technologische Trends können massive Implikationen sowohl für bestehende als auch potenzielle Geschäftsmodelle haben. Deshalb gilt es einen systematischen und pragmatischen Ansatz zur kontinuierlichen Überprüfung der Strategie zu entwickeln: Wie modular, skalierbar und übertragbar auf neue, durch Konvergenz und Makrotrends entstehende Märkte sind unsere Geschäftsmodelle? Lassen sich mit ihnen auch künftig Wettbewerbsposition und Profitabilität behaupten und Wachstum realisieren? Was muss verändert werden?

 

4. Entwicklung einer Technologiestrategie 

Der künftige Zuschnitt der Geschäftsmodelle bildet den Rahmen der Technologiestrategie: Wie wird das Unternehmen technologisch ausgerichtet? Welche Technologien werden benötigt und in welcher Beziehung stehen sie zu den heutigen Kernkompetenzen? Kann der Zugang zu den relevanten Technologien am besten über Zukauf, Kooperation oder Eigenentwicklung organisiert werden?

 

5. Strategisches Personalmanagement und kontinuierliche Qualifizierung 

Die Frage nach dem vorhandenen und künftig benötigten Know-how führt einerseits auch zu der Frage, ob Qualifizierung und Personalentwicklung als dauerhafter, professionell organisierter Prozess verstanden und umgesetzt werden. Andererseits erfordert die Beschäftigung mit Konvergenz, Digitalisierung und damit auch mit der Transformation des Unternehmens einen nüchternen und ehrlichen Blick auf das Recruitment: Sind wir in der Lage, die Menschen die wir brauchen für uns zu begeistern? Können wir uns gegen die Karriereangebote des branchenübergreifenden Wettbewerbs behaupten?

 

6. Stärkung und Adaption von Produktion und Supply Networks

Gerade in der Automotive- und Maschinenbauindustrie lässt sich keine ernsthafte strategische Entscheidung ohne eine umfassende Analyse des Wertschöpfungsnetzwerks treffen. Die Frage, welche Auswirkungen die künftige Strategie auf Produktion und Supply Chain hat und wie das bestehende Partnernetzwerk horizontal, vertikal und branchenfremd erweitert werden muss, ist deshalb erfolgskritisch für den Transformationsprozess und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. 

 

Das sichere Navigieren durch die Ungewissheiten der Konvergenz erfordert jedoch mehr als eine stringente Planung und Organisation: Die Erfolgsbeispiele der letzten Jahre zeigen, dass es vor allem die Entdeckerfreude und die Bereitschaft sich auch mal zu verlaufen sind, die Großes hervorbringen können.