„Die Importschranken von heute verhindern die Ausfuhren von morgen“

Handlungsempfehlungen für neue Weltmarkt-Szenarien

Interview mit Dr. Johannes Fritz, Research Fellow der Max Schmidheiny Stiftung am Schweizerischen Institut für Außenwirtschaft und Angewandte Wirtschaftsforschung der Universität St. Gallen


DIALOG: Herr Dr. Fritz, für den Global Trade Alert erfassen Sie jährlich, mit wie vielen und welchen protektionistischen Maßnahmen die G20-Staaten gegen ausländische Wirtschaftsinteressen vorgehen. Wie protektionistisch ist – im internationalen Vergleich – eigentlich Deutschland?

DR. JOHANNES FRITZ: Deutschland liegt im Mittelfeld – wie auch die übrigen großen EU-Mitgliedsländer. Für mich ist das ein Erfolg der europäischen Integration. Zum einen werden klassische Handelsbarrieren wie Einfuhrzölle nun auf europäischer Ebene festgelegt. Die Zentralisierung erschwert es einzelnen Mitgliedstaaten, rasch und gezielt ihre Grenzen zu schließen. Zum anderen überwacht die Kommission mit Argusaugen die Einhaltung des Europäischen Binnenmarkts und sorgt so dafür, dass die Mitglieder gegen 60–75 Prozent ihrer Importe ohnehin wenig unternehmen können. Was wir in Deutschland und Europa mehr beobachten, sind nicht klassische Handelshemmnisse, sondern Exportförderungen oder gezielte Staatshilfen für realwirtschaftliche Unternehmen im Zuge der Finanzkrise.
 

DIALOG: Protektionismus ist offenbar längst in vielen führenden Wirtschaftsnationen als Mittel der Wahl etabliert, um die eigenen Handelsinteressen zu schützen. Auch TTIP und CETA haben gezeigt, dass die Bürger in Europa ebenfalls nicht wirklich Freihandelsfans sind. Welche Gefahren lauern in dieser Entwicklung für Unternehmen in DACH? Sehen Sie eventuell auch Chancen?

JF: Die Gefahr ist, dass ein kurzfristiger Erfolg die langfristigen Konsequenzen überstrahlt. Freihandel wirkt über seine Zinseszinsen und ist da etwa dem technologischen Fortschritt sehr ähnlich. Sie können sich eine Weile recht schmerzlos verschließen, riskieren damit aber, vollends den Anschluss zu verlieren. In diesen Diskussionen wird häufig vergessen, dass die exportstärksten Industrien in der Regel auch die importabhängigsten sind. Die Importschranken von heute verhindern die Ausfuhren von morgen. DACH-Unternehmen profitieren in dieser Unsicherheit meiner Ansicht nach von einem – trotz all seiner Schwierigkeiten – letztendlich handelspolitisch stabilen, großen europäischen Wirtschaftsraum.

DIALOG: Mit welchen Maßnahmen sollten deutsche Fertigungsunternehmen auf die Entwicklungen in den USA und Mexiko reagieren, wenn sie dort über Jahre Standorte und Zuliefernetzwerke aufgebaut haben? Was empfehlen Sie speziell Zulieferunternehmen, die ihren Kunden mit Fertigungsstandorten in diese Länder gefolgt sind?

JF: Ruhe bewahren, denn an der US-mexikanischen Grenze selbst wird sich wenig ändern. Aus meiner Sicht ist es wahrscheinlicher, dass die neue US-Regierung die heimische Industrie direkt fördern wird und nicht signifikante Handelsbarrieren gegen Mexiko errichtet. Eine sehr marktfreundliche Republikanische Partei wird der Regierung nicht in einen Handelskrieg mit den Nachbarstaaten folgen. Präsident Trump geht es grundsätzlich um Arbeitsplätze, nicht um Einfuhren als solche. Um amerikanische Arbeitsplätze zu sichern, wird er eher auf parlamentarisch leichter durchsetzbare Steuergeschenke für die produzierende Industrie setzen oder das öffentliche Beschaffungswesen verändern. Daneben ist besonders die Immigrationspolitik ein wahrscheinliches Ziel für diese Strömung.
 

DIALOG: China kämpft mit offenen und versteckten Schutzmaßnahmen für heimische Firmen, um seine Interessen durchzusetzen. Auf welche Entwicklungen sollte sich die deutsche Wirtschaft hier in den nächsten Jahren einstellen?

JF: Kurzfristig ist das sehr schwer vorauszusehen. Die Grenze zwischen der chinesischen Privatwirtschaft und dem öffentlichen Sektor ist sehr porös. Staatliche und staatsnahe Betriebe sind aktive Instrumente der chinesischen Industriepolitik. Die Geldflüsse sind da oft sehr schwer nachzuvollziehen. Noch dazu wird die chinesische Wirtschaftspolitik äußerst dezentral umgesetzt. Da werden handelspolitisch relevante Entscheidungen bis runter zur Städte-Ebene delegiert. Mittelfristig wird interessant, wie ernst die chinesische Regierung die regionale Wirtschaftsintegration vorantreibt. Nicht zuletzt als Reaktion auf das unter amerikanischer Führung ausgehandelte TPP haben die Chinesen ihre eigene asiatische Freihandelszone, RCEP, lanciert. Man will sie noch dieses Jahr zu Ende verhandeln. Für die DACH-Hersteller und -Zulieferer stellen sich dann ähnliche Standortfragen wie bei der nordamerikanischen Freihandelszone.

 

 

Über den Global Trade Alert


Der Global Trade Alert der Universität St. Gallen liefert Echtzeit-Informationen über staatliche Maßnahmen, die während des globalen Abschwungs ergriffen werden und den Außenhandel beeinflussen können. Im Unterschied zu anderen Monitoring-Initiativen identifiziert der Global Trade Alert zudem die Handelspartner, die durch diese Maßnahmen wahrscheinlich geschädigt werden. Weitere Informationen unter www.globaltradealert.org