The New Ice Age

Die Welt taumelt in ein neues Zeitalter des Protektionismus und der Abschottung. Darauf ist kaum ein Unternehmen vorbereitet

Von Hans-Georg Scheibe, Vorstand, ROI Management Consulting AG

Vor ziemlich genau 200 Jahren sagte Großbritannien der Globalisierung den Kampf an. Das Empire sah sich, im Gefolge Napoleonischer Kriege, einem hohen Druck auf die Getreidepreise ausgesetzt und führte die Corn Laws ein, um die heimische Produktion zu schützen. Doch schon dreißig Jahre später wurden die Getreidegesetze wieder abgeschafft: England, das industrielle Herz der damaligen Welt, brauchte den offenen Zugang zu globalen Märkten, es brauchte Freihandelsabkommen, die Macht des vom Protektionismus profitierenden Landadels begann massiv zu bröckeln. Wieder dreißig Jahre später stand die beginnende Globalisierung erneut vor dem Ende. Der deutsche Reichskanzler Bismarck setzte durch den Einsatz von selektiven Schutzzöllen eine protektionistische Spirale in Gang. Der Vorwurf der Handelspartner lautete, Deutschland würde unfair spielen: ein Vorwurf, der seit einigen Monaten erneut die Diskussion über den Welthandel zu prägen beginnt.

Die Muster von Protektionismus und Globalisierung wiederholen sich seit Jahrhunderten. Denn offene Märkte generieren zwar einerseits allgemeinen Wohlstandszuwachs, führen andererseits aber auch zu einer Zunahme der Ungleichheit – die in sozialen Spannungen, politischer Radikalisierung und der Entstehung von Feindbildern sowie dem Ruf nach der guten alten lokalen Produktion resultiert. Die Instrumente, Schlagworte und Verläufe der jeweiligen Zyklen gleichen sich dabei auf eine geradezu surreale Weise – in einer historischen Kontinuität, die sich bis zu den griechischen Stadtstaaten zurückverfolgen lässt. Der ständige Wechsel zwischen Globalisierung und Protektionismus scheint dabei unvermeidlich: „Ist die Globalisierung weit genug fortgeschritten und sieht man die Folgen der Offenheit, kippt die ganze Angelegenheit“, sagt etwa der britische Historiker Harold James und betont, dass es Jahre dauert, das verlorene Vertrauen in die Globalisierung erneut aufzubauen.

Die Geschichte lehrt, dass man die Geschichte schnell vergisst. Und so trifft uns die sich aktuell auftürmende Welle des wirtschaftlichen und politischen Protektionismus und der Desintegration erneut weitgehend unvorbereitet. In den vergangenen zwanzig Jahren haben sich europäische Unternehmen – von EURO-STOXX-Konzernen bis hin zu spezialisierten Mittelständlern – sehr stark global aufgestellt. Gerade in Zentraleuropa haben wir dabei von einer Mischung aus technologischem Know-how, hoher Prozessexzellenz und günstiger Währung enorm profitiert.

Der Preis für diesen Wohlstandszuwachs ist eine hohe Vulnerabilität. Der Erfolg ist stark abhängig von offenen, vor allem aber gut prognostizierbaren und stabilen Rahmenbedingungen. Doch diese sind heute immer weniger gegeben. Von der spürbaren Abkühlung der Beziehungen zu den USA und Russland über den Austritt Großbritanniens aus der EU und den wankenden Euro bis hin zu sozialen und politischen Verwerfungen und Unsicherheiten in großen Sourcing- und Absatzmärkten Südamerikas – es ist Sand ins Getriebe der auf Hochtouren laufenden globalen Maschinerie geraten. Verschärft wird diese Situation durch weitere Faktoren – den Eintritt neuer, preisaggressiver und teilweise stattlich gestützter Player in die Märkte, den Technologiewandel, die wachsenden Anforderungen der Kunden im Hinblick auf Individualisierung und Verfügbarkeit der Produkte, die Altlasten aus frühen, nicht ausreichend durchdachten Verlagerungsprojekten.

Es spricht viel dafür, dass wir am Beginn einer neuen wirtschaftlichen und politischen Eiszeit stehen – eine Entwicklung, die fraglos massive Auswirkungen auf die Gestaltung und das Management globaler Netzwerke haben wird. Die komplexen Herausforderungen verlangen dabei einen multidisziplinären Ansatz: Wir müssen unsere Footprints im Hinblick auf Faktoren wie Wettbewerb, Kosten, Transparenz, Koordination und Operations-Strategie einer harten Analyse unterziehen und Konfigurationen entwickeln, die auch in einer Welt der Grenzzäune bestehen können.