VON DER WIEGE BIS ZUR WIEDERAUFERSTEHUNG

NACHHALTIGKEITSZIELE FÜR DEN PRODUKTLEBENSZYKLUS

Was macht ein Produkt tatsächlich „nachhaltig“? Der „Product Life Cycle“-Ansatz von ROI-EFESO klassifiziert Nachhaltigkeitsziele, die sich auf physische Produkte, Software oder Dienstleistungen beziehen können. Der Ansatz bietet Unternehmen somit einen Orientierungsrahmen, um diese Ziele von der ersten Idee bis zum Recycling nachzuverfolgen. In den nachfolgend erläuterten vier Phasen des Lebenszyklus lassen sich dabei unterschiedliche Schwerpunkte setzen.

IDEENFINDUNG

Welche Optionen gibt es, um ein vorhandenes Produkt im Hinblick auf Nachhaltigkeitskriterien noch besser zu machen? Oder gar ein komplett neues zu entwickeln, das einen Kundenbedarf erfüllt und zugleich einen idealen Sustainability Footprint aufweist? Die Bündelung und Fokussierung von Kreativität und Ressourcen auf nachhaltige Produktideen stellt die vielleicht größte Herausforderung dieser Phase dar.


NACHHALTIGKEIT ALS TREIBER FÜR INNOVATIONEN

Im ersten Schritt sind die methodischen und organisatorischen Voraussetzungen im Unternehmen zu prüfen, die die Entstehung von nachhaltigen Produktideen ermöglichen. Spezifikationen machen Nachhaltigkeit in Zielen, Maßnahmen und Grenzen greifbar, insbesondere über die Basis-, Leistungs- und Begeisterungsmerkmale des Produktes. So sind z.B. Leistung und Verbrauch in der Regel nicht nur beim Auto direkt miteinander verknüpft, sondern auch bei anderen Produkten wie Haushaltsgeräten oder Maschinen. Diese Produktanforderungen setzen den Rahmen für die spätere Entwicklung, stellen aber auch eine Art Schnittstelle zwischen dem Unternehmen und dessen Kunden dar.

Beide Seiten können hier Innovationstreiber sein – eine entsprechende Signalwirkung hatte z.B. die Entscheidung von Volvo, die Leistung seiner Fahrzeuge auf 180 Kilometer pro Stunde zu begrenzen und sich von Acht- und Sechszylindermotoren zu verabschieden. Derartige Entscheidungen richten das Produktportfolio neu aus und adressieren zugleich geschickt die Kundenwahrnehmung der Marke.


AMORTISATION VON NACHHALTIGKEIT ABSCHÄTZEN

Ein weiteres zentrales Element dieser Phase ist der „Sustainability Payback“, der über eine Kundennutzenbetrachtung und die Preisfindung von Nachhaltigkeitsfunktionalitäten sowie über die Modellierung von Geschäftsmodellen ermittelt wird. Bei jedem Produkt füllt diese Kalkulation unterschiedlich aus. Eine Kostenaufschlagskalkulation, die sich auf den Materialeinsatz und die direkten Fertigungskosten als zentrale Richtwerte konzentriert, reicht zur Lösung dieser Aufgabe allerdings nicht aus. Wie viel mehr würden Kunden z.B. zahlen, wenn ein Fahrzeug oder eine Maschine in größeren Intervallen gewartet werden muss
und sich der Nutzungszeitraum verlängert? Um einen solchen Mehrwert anzubieten, müssen schließlich hochwertigere Komponenten verwendet werden, die das Produkt verteuern. Methoden wie die Conjoint-Analyse, das Lead-User-Konzept oder Produktkliniken sind in diesem Kontext hilfreich.


EVALUATION DER KO-INDUZIERTEN KUNDENERFAHRUNG

Hierbei handelt es sich um einen entscheidenden Bestandteil der Kundennutzenanalyse, bei der simuliert wird, wie der Kunde die Nachhaltigkeitsaspekte an sich sowie das Produkt insgesamt erleben würde. Welche Änderungen, Neuerungen und Vorteile stehen dabei im Mittelpunkt? Bemerkt der Kunde überhaupt die Veränderung? Bei diesem Thema spielt in der Regel die digital Produktdimension eine wichtige Rolle. Wer z.B. per App ablesen kann, wie viel Strom seine Photovoltaikanlage in Echtzeit erzeugt und wie viel CO₂ gegenüber anderen Erzeugungsarten damit eingespart wird, erlebt dieses Produkt komplett anders als ohne ein solches Tool.



ENTWICKLUNG

Natürlich erweist sich nicht jede nachhaltige Idee als geeignet für die Entwicklungsphase. Mit Testläufen, Pilotprojekten oder Marktforschungsinstrumenten finden Unternehmen ihre eigene Variation eines „Filters“, der erfolgversprechende Ansätze für die Weiterentwicklung identifiziert. Ist dies erfolgt, stehen die folgenden Themen im Fokus.


DESIGN FÜR NACHHALTIGE PRODUKTNUTZUNG, MATERIAL-COMPLIANCE

Ist ein E-Fahrzeugmodell automatisch „grün“? Oder entstehen bei seiner Fertigung und Verschrottung neue Umweltbelastungen? Wer frühzeitig möglichst konkrete Nachhaltigkeitsziele für sein Produkt formuliert, erkennt Hürden und Risikozonen schneller. Als Leitbild eignet sich generell das Prinzip des „nachhaltigen Designs“, das soziale, kologische und konomische Aspekte von Nachhaltigkeit in einen positiven Nutzen für Umwelt, Hersteller und Konsumenten überführen will. Eng damit verbunden ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema Material-Compliance (MC), also mit der Einhaltung von Gesetzen und Verordnungen, welche die Verwendung bestimmter Substanzen und/oder Werkstoffe in Produkten einschränken bzw. verbieten. Das kommt meist in der Abwägung zwischen den finanziellen und den umweltbezogenen Kosten zum Ausdruck, die sich aus der Zusammensetzung der Produktkomponenten ergeben. Messgrößen können der voraussichtliche Carbon Footprint und andere Emissionen bzw. Schadstoffe sein. An diesem Punkt sollte man auch betrachten, ob höhere Kosten für z.B. umweltfreundlichere Komponenten als Mehrwert für den Kunden kommuniziert und bepreist werden können.


EVALUATION DES KODESIGNS, UMWELTVERTRÄGLICHKEITSPRÜFUNG

Inwiefern ist das Produkt über die Herstellung hinaus nachhaltig? Besonders wichtig ist die Nutzungsphase eines Produktes, die man bereits während der Produktentwicklung so weit wie möglich beschreiben bzw. „simulieren“ sollte. Bei Kunststoffspritzgussmaschinen entscheidet z.B. das Produkt- und Werkzeugdesign über den Rohstoffeinsatz im Betrieb. Strom- und Wasserverbrauch sowie Schadstoffemissionen während der Nutzungsphase sind Indikatoren für eine durchdachte und gezielte nachhaltige Produktentwicklung.

LCE-METHODEN

Life Cycle Engineering (LCE) umfasst als Oberbegriff eine Reihe von Methoden, die Unternehmen bei der Evaluation der genannten Punkte einsetzen. So betrachtet die Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Assessment, LCA) die Umweltwirkungen von Produkten während ihres gesamten Lebensweges. Bei der Anwendung dieser und weiterer analytischer Methoden sollten Unternehmen Standards über Prozesse und Applikationen schaffen, die ein möglichst breites Produktspektrum im Unternehmen adressieren. Denn so zeigt sich schnell, welche Kompetenzen fehlen, zugekauft oder im eigenen Hause aufgebaut werden sollten. Diese Methoden eignen sich ideal, um einen Index für die Nutzungserfassung zu erstellen – also eben zu allen Umweltkosten, die nicht aus der Herstellung resultieren. Bei einer CO₂-neutral hergestellten Spritzgussmaschine kann sich das u.a. auf ihren Öl- und Stromverbrauch während der kompletten Nutzungsphase beziehen. Und in der Automobilindustrie spricht man beispielsweise über den Dekarbonisierungsindex pro Fahrzeug, der aus den CO₂-Emissionen für ein vordefiniertes Nutzungsverhalten ermittelt wird. Aus dieser Produktbetrachtung ergeben sich wiederum spannende neue Optionen. Etwa dazu, wie digitale Tools/Funktionalitäten diese Informationen erfassen und messbar machen können – und ob sich diese Daten auch zu anderen Zwecken als zur Produktverbesserung verwenden lassen.

 

GEBRAUCH

Das Produkt und ggf. die mit ihm verbundenen Dienstleistungen müssen sich anschließend im Einsatz bewähren. Wer aus den Analysen, Tests und Simulationen der vorangegangenen Phasen die richtigen Schlüsse gezogen hat, sollte nun in der Lage sein, seinen Kunden sowie der Umwelt messbare Vorteile bei der Reduktion von Energiekosten, Emissionen oder Schadstoffen zu bieten. Drei Aspekte sind dabei besonders wichtig.


VORAUSSCHAUENDE WARTUNG

Der klassische Anwendungsfall für Predictive Maintenance ist die Instandhaltung von Maschinen. Digitale Tools warnen den Betreiber heute frühzeitig, wenn ein Motor zu überhitzen droht oder Anlagenkomponenten Verschlei erscheinungen zeigen. Das Prinzip, die Laufleistung bzw. die Lebensdauer des Produktes zu erhöhen, indem z.B. Sensoren an immer mehr kritischen Stellen Verschleiß und Beschädigungen erfassen, lässt sich auf weitere Anwendungsfelder übertragen und wird zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen. Dabei werden Ressourcen in Form von Ersatzteilen minimiert und die Umwelt geschont.


UMWELTFREUNDLICHE AUFRÜSTBARKEIT

Muss es ein neues Smartphone sein – oder genügt es nicht, die Software oder bei Bedarf sogar einzelne Hardware-Komponenten auszutauschen? Das Scheitern von Smartphone-Herstellern, die mit einem modularen Aufbau die Langlebigkeit des Produktes steigern und den Ressourcenbedarf für dessen Fertigung  senken wollten, verdeutlicht das Dilemma hinter diesem Aspekt. Der Ansatz, z.B. den Prozessor und die Batterie des Smartphones langlebiger zu machen, ist kologisch sinnvoll. Er verliert aber gegenüber dem konomischen Faktor an Bedeutung, solange der Kunde das Produkt nicht kauft. In der Industrie sind modulare Upgrades bereits effektive Nachhaltigkeitstreiber, etwa im Fall von Werkzeugmaschinen oder im Sondermaschinenbau. Hersteller von Anlagen für die Verpackungsproduktion entwickeln diese z.B. häufig bereits für einen höheren Output, als tatsächlich im Einsatz ben tigt wird. Ist beim Kunden eine Output-Steigerung notwendig, kann eine Nachrüstung, also eine Konfiguration der Hard- und Software erfolgen – anstatt eine komplett neue Anlage installieren zu müssen. Der Kunde spart Geld, der Hersteller kann neue Leistungen rund um diese modulare
Struktur anbieten und der kologische Footprint des Produktes verbessert sich durch einen längeren Gebrauch.


REDUZIERTE EMISSIONEN UND VERBRÄUCHE

Die Reduktion von Emissionen und Verbräuchen ist die Kerndisziplin – hier sollte jede neue Produktgeneration auf Null-Werte hinsteuern. Die Voraussetzungen dazu liefern die bereits genannten Handlungsfelder. Ein gutes Beispiel ist der Akku eines Elektroautos, dessen maximale Speicherkapazität im Laufe der Jahre abnimmt. Die Speicherplätze der neuesten Akkugenerationen sind modular in Paketen von Zellen aufgebaut, die sich einzeln auswechseln lassen. So wird die Entsorgung bzw. Verwertung kompletter Akkus bald der Vergangenheit angehören. Das Beispiel verdeutlicht aber auch, dass ein insgesamt geringerer Ressourcenverbrauch des Produktes häufig mehr Entwicklungsleistung erfordert – diese Leistungen sind übrigens streng genommen ebenfalls „Verbrauchswerte“. Ein hohes Transparenzlevel erreichen Unternehmen, die m glichst viele Leistungen, die beim Durchlaufen des Produktlebenszyklus anfallen, in dessen Nachhaltigkeitsbilanz berücksichtigen. Neben der notwendigen Arbeitsleistung, um besondere Produkteigenschaften zu entwickeln, sind das vor allem die aufgewendeten Fertigungsressourcen.

 

VERWERTUNG & ENTSORGUNG

In der vierten Phase geht es um die Entsorgung oder die Wiederverwendung des Produktes, sei es im Ganzen oder in seinen Bestandteilen. Zwei Herausforderungen sind hier zu lösen: Was geschieht mit Materialien/Stoffen, die sich nicht wiederverwenden lassen? Und noch wichtiger: Wie kann man diese Phase bereits in den anderen Abschnitten des Lebenszyklus so berücksichtigen, dass der Anteil dieser Materialien m glichst gering ausfällt?


EFFIZIENTES RECYCLINGNETZWERK

Bei der Nutzung und Entsorgung von Produktkomponenten wie Akkus, Kunstund Schmierstoffen können Schadstoffe entstehen, die sich nicht ohne Weiteres entsorgen lassen. Es gibt zwei Optionen, diesen Anteil auf null zu senken oder gering zu halten: zum einen die Substitution, also z.B. den Ersatz von Kunststoff durch einen anderen, kologisch abbaubaren Werkstoff; zum anderen die Option, den Einsatz der schädlichen Werkstoffe zu minimieren. Das setzt eine genaue Kenntnis dessen voraus, was während der Nutzung und Entsorgung mit dem Produkt geschieht, was wiederum als „design for sustainable product use“ ein integraler Bestandteil der Entwicklungsphase ist.

Beispielsweise besteht bei einigen „grünen“ Produkten, die Lithium-Ionen-Batterien beinhalten, die Gefahr der Entflammbarkeit. Oder es werden toxische Chemikalien bei der Herstellung verwendet, um z.B. eine höhere Energiespeichereffizienz zu erreichen. Es liegt also in der Verantwortung der Produktentwickler, diese Anteile zu minimieren oder neue Lösungswege zu finden – idealerweise im Austausch mit wissenschaftlichen Institutionen oder Forschungsinitiativen sowie den Partnern im Wertschöpfungsnetzwerk.


SECOND-LIFE APPLIANCE

Ein „zweites Leben“ für das Produkt ist ein weiterer idealer Lösungsweg. Das Produkt wird also, nachdem es seinen ursprünglichen Zweck erfüllt hat, einfach in einem anderen Einsatzgebiet weiterverwendet, um den Ressourcenverbrauch insgesamt zu minimieren. Beispiele sind der Einsatz von Akkus aus E-Fahrzeugen als Speichermedium für Immobilien oder die Verwertung von Zügen, durch die einzelne Komponenten noch nach vielen Jahren in anderen Bereichen problemlos zum Einsatz kommen. Je nach Branche gibt es in dieser Hinsicht noch viele Verbesserungsoptionen. Bei Haushaltsger ten wird z.B. ein hoher Anteil der Großgeräte recycelt, ein erneuter Einsatz nach Reparaturen ist aber noch selten und bei kleineren Haushaltsgeräten gar nicht üblich. Insbesondere Verbesserungen bei der Sammlung und Sortierung von Kleingeräten stellen aber einen wichtigen Treiber für höhere Recyclingquoten dar.

 

ERFOLGE AUSBAUEN

Jedes Unternehmen, das eine Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt, sollte sich mit dem bzw. den Lebenszyklen seiner Produkte auseinandersetzen. Wo der Einstieg im Ablauf „von der Wiege bis zur Wiederauferstehung“ erfolgt, ist nicht unbedingt entscheidend.

Wichtiger ist, auch Erfolge neu zu hinterfragen: Wie ässt sich der Ressourcenverbrauch weiter verringern? Wie lässt sich der Kunde mit einem nachhaltigen Produktdesign begeistern? Das betrifft nicht nur die Leistungswerte des Endproduktes, sondern auch den Ressourcenverbrauch im Sinne der verwendeten Materialien (und sogar im Sinne des eingesetzten Humankapitals), die  entlang aller Phasen im Produktlebenszyklus eingesetzt werden. Je konsequenter man hier vorgeht, desto besser sieht die Bilanz am Ende eines langen, grünen und profitablen Lebenszyklus aus – und desto wahrscheinlicher ist es, dass das Produkt oder eine hohe Anzahl seiner Komponenten ein „zweites Leben“ erhalten.