DER INGENIEUR HAT ES BALD SCHWER

ES GIBT EINE ANEKDOTE, WONACH DER EHEMALIGE VW-VORSTAND FERDINAND PIËCH, UM FESTZUSTELLEN, OB EIN ACHTZYLINDER PERFEKT EINGESTELLT WAR, EINE MÜNZE IM WAGEN AUF IHREN RAND STELLTE. BLIEB SIE AUCH BEI LAUFENDEM MOTOR STEHEN, WAR ALLES IN ORDNUNG.

Mehr muss wohl nicht über den Qualitätsanspruch deutscher Ingenieurskunst gesagt werden. Lange Zeit galt sie im In- und Ausland als Inbegriff industrieller Überlegenheit, als unumstößliches Qualitätsmerkmal und Quell der Innovation.

Und genau hier liegt das Problem. Denn längst findet Innovation zum größten Teil nicht mehr im Hard-, sondern im Software-Bereich statt. Allein im Automobilbereich betreffen mittlerweile 70 bis 90% aller Innovationen Elektronik und die zugehörige Software. Experten rechnen bei den sog. Embedded Systems bereits heute mit einem Marktvolumen von rund 160 Milliarden Euro.

Die meisten Hersteller klassischer Industrieprodukte stellt das vor enorme Herausforderungen. Ihre auf die Entwicklung von Hardware-Komponenten ausgerichteten R&D-Prozesse sind nicht auf die hohe Komplexität und Dynamik der Software-Entwicklung ausgelegt. Denn wo im Hardware-Bereich bereits die Prototypenerstellung mehrere Wochen in Anspruch nehmen kann, erfolgen im Software-Umfeld bis zu 100 Releases pro Tag. Diese Entwicklungs-Streams mit ihren unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu synchronisieren gehört zu den zentralen Herausforderungen der Entwicklungsorganisation im Smart- Products-Zeitalter.

Das erfordert allerdings Fähigkeiten, die über klassische deutsche Ingenieurskunst hinausgehen. Nämlich ein Umdenken in etlichen Bereichen: von Wasserfall- zu agilen Methoden, von German Over-Engineering zu kontinuierlichen kurzzyklischen Produkt-Updates und von „Fire and forget“-Mentalität zur Betrachtung von Produkten über den gesamten Lebenszyklus.