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NACHHALTIGKEITSRISIKEN BEWERTEN
Indikatoren und Metriken des Einkaufs nach dem Sustainability accounting standards board (SASB)
„Lasst uns das erste wirklich nachhaltige Auto auf den Markt bringen – emissionslos, mit recycelten Materialien, sauberster Energie und unter optimalen Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Lieferkette!“ Nun, Träume können wahr werden. Falls es Automobilhersteller geben sollte, die bereits diese Mission verfolgen, werden sie ein solches Modell wahrscheinlich erst einmal in eher überschaubaren Stückzahlen anfertigen können. Dass ein Hersteller mit einer Massenproduktion solcher Fahrzeuge in Zukunft einen neuen Meilenstein in der Geschichte des Automobils setzt, mag ebenfalls nicht unrealistisch sein.
Heute sind wir davon aber noch weit entfernt. Sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen bedeutet, in vielen Bereichen unterschiedlichste Voraussetzungen erfüllen und Entscheidungen treffen zu müssen, deren Ergebnisse zuweilen nicht eindeutig prognostizierbar sind: etwa, wenn es um die Wahl der richtigen Antriebstechnologie geht, um eine Antizipation der Kundenbedürfnisse zum richtigen Zeitpunkt oder um transparentere Lieferketten. Bei der Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsthemen kommen hier Fragen und Probleme auf, an die die Unternehmen vorher noch nie gedacht haben. Welche Kompromisse zwischen Nachhaltigkeit und Rentabilität sind akzeptabel? Wie identifiziert man Bereiche, in denen Nachhaltigkeit die Rentabilität steigert? Was sind die wichtigsten Kennzahlen (Key Performance Indicators, KPIs) für Nachhaltigkeit in den Prozessen der Wertschöpfungskette und wie lassen sich diese beeinflussen?
Ein neues KPI-Basiertes Konzept
Aus unserer Erfahrung ist der Schlüssel zum Erfolg, sich auf eine realistische und pragmatische Vorgehensweise zu konzentrieren. Genau dies war unser Vorgehen in einem Projekt für einen OEM, dessen Beschaffungsorganisation ein Nachhaltigkeitsprogramm initiieren sollte. Zu Beginn des Projektes entwickelten wir mit dem Einkauf eine Rohstoffstrategie. Außerdem strukturierten wir die bestehende Beschaffungsstrategie für alle Komponenten neu, die das Unternehmen nicht vor Ort selbst produzierte, also u.a. Getriebekomponenten oder Sitze. Dies eröffnete Chancen, einige Aspekte verstärkt auf Nachhaltigkeit auszurichten. Schließlich entwickelten wir gemeinsam mit dem Management ein neues Konzept zur Integration von Nachhaltigkeit als Bestandteil des Risikomanagements. Dieses Konzept beruht auf drei Hauptelementen: einer Rohstoffstrategie, einem „Triple-P“-Ansatz zur Identifizierung von (Nachhaltigkeits-)Risiken sowie auf Standards für Beschaffungs-KPIs in der Automobilindustrie.
Visualisiere und vergleiche Resultate!
Diese Aufgabenstellung lösten wir mit einer Umstrukturierung der bis dato verfolgten Beschaffungsstrategie in vier Schritten: Zunächst legten wir Kategorien und Kontexte für die Strategie fest, z.B. bezüglich Produkten und benötigter Volumina, der Marktentwicklung und weiterer interner/externer Richtwerte. Zweitens sammelten und analysierten wir weitere Informationen, insbesondere bezüglich des Commodity-Business-Modells und des Lieferanten-Risikomanagements. Dies führte im dritten Schritt zu einer neuen Warengruppenstrategie mit einem aktualisierten Lieferanten Panel, einer Geschäftsvision und einer Positionierungsmatrix. Als viertes Element komplettierten konkrete Aktionspläne für die Beschaffung dieses Strategiepaket.
Triple-P-Ansatz
Bis zu diesem Punkt spielten Nachhaltigkeitskriterien in der Beschaffung noch keine große Rolle. Doch es wurde schnell deutlich, dass sich eine Strategie, die die ESG-Faktoren (Environmental Social Governance) berücksichtigt, nur dann auf hohem Niveau realisieren lässt, wenn eine größere Dimen- sion angestrebt wird. Daher entschloss sich das Unternehmen, kein isoliertes Projekt durchzuführen, sondern mehrere Bereiche zu kombinieren: auf der einen Seite die Rohstoffstrategie, die die nötige Orientierungshilfe für jede Kategorie und jedes Lieferantensegment bietet. Auf der anderen Seite verbesserten wir die Planungsformate der Beschaffungsaktivitäten und wie über diese intern berichtet wird, etwa in Form von Businessplänen und Einkaufsszenarien.
Drittens kombinierten wir das Risikomanagement und die Nachhaltigkeitsperspektive. Das bedeutet, dass die ESG-KPIs und zukünftige Initiativen, die als Teil der Risikomanagement-Aktivitäten durchgeführt werden, integriert werden. Es gab einen pragmatischen Grund, dies zu tun: Es handelte sich um den schnellsten Weg, um die Bedeutung von Nachhaltigkeit für das Lieferantenmanagement und die Qualitätsstrategie sofort zu erhöhen und mit dem operativen Tagesgeschäft zu verknüpfen. Als Rahmen nutzten wir einen „Triple-P-Ansatz“, der sich auf die Dimensionen Umwelt (Planet), Soziales (People) und Wirtschaft (Profit) bezog. Von diesem Ausgangspunkt aus wurden unterschiedliche Profit-Aspekte bewertet, etwa die Materialverfügbarkeit oder neuere Risiken wie Cyberkriminalität. Der essenzielle Wert einer Nachhaltigkeitsbewegung innerhalb der Organisation lag allerdings in den anderen beiden „P“. Hierfür war ein noch detaillierterer Rahmenplan notwendig, der die konkreten Risikomanagement-Aktivitäten vorgeben sollte.
Zu diesem Zweck thematisierten wir die kritischen Punkte in der Organisation. Zum Beispiel gab es im Unternehmen keine Maßnahmen für greifbare Resultate in wesentlichen Bereichen einer Nachhaltigkeitsberichterstattung, etwa zu Konfliktrohstoffen. Daher erweiterten wir den traditionellen Rahmenplan für das Risikomanagement um den Triple-P-Ansatz. Um schnell und pragmatisch herauszufinden, was in der Praxis möglich ist, testen wir diesen Ansatz in einem der Werke des Unternehmens als Pilotprojekt. Über KPIs verknüpften wir außerdem Nachhaltigkeitsthemen mit einer Risikomatrix. Diese KPIs decken ein breites Spektrum an Themen und Zahlen ab, z.B. den gesamten Energieverbrauch in Gigajoule, den Prozentsatz recycelter Abfälle oder das CSR-Rating der Lieferanten.
Übersicht: Risk Assessment mit Nachhaltigkeitsaspekten
Die Risikomatrix ist eine erweiterte Version der Klassischen Kraljic-Matrix.
Die Nachhaltigkeitsaspekte werden über die Größe der Blasen dargestellt.
Zukunftsorientiertes Supply Chain Management
Zudem integrierte das Unternehmen den Triple-P-Ansatz auch in die Bewertung von lieferanten- und stücklistenübergreifenden Risiken. Die Stückliste umfasst alle Teile, aus denen ein Fahrzeug besteht. Dazu wurde ein Prozess etabliert, der die Kontrolle und die Bewertung aller Lieferanten verbessert, um das breite Spektrum der Risiken überschauen zu können.
Außerdem begann das Unternehmen damit, die verschiedenen Kategorien und Waren in Bezug auf Risiken hinsichtlich ESG-Themen zu bewerten. Um diese Informationen zu visualisieren, erweiterten wir das Risikomanagement-Dashboard in Bezug auf die Kritikalität für die Nachhaltigkeit. Nun kann auf einen Blick erfasst werden, bis zu welchem Grad das jeweilige Segment kritisch für die Nachhaltigkeit ist. Beispiels- weise kann sich eine zugelieferte Komponente in einem strategischen Quadranten befinden, da sie mit einem hohen Profit verbunden ist, vor Ort jedoch nicht verfügbar ist und somit ein großes Beschaffungsrisiko für das Unternehmen darstellt. Muss diese Komponente im Notfall von einem anderen Lieferanten bezogen werden, kann sich das erheblich auf die Nachhaltigkeits-KPIs auswirken, etwa bei der CO2-Bilanz längerer Transportwege. Andererseits kann eine lokal bezogene Komponente mit geringerem Profit verbunden sein, aber einen geringeren Risikofaktor aufweisen.
Diese Matrix ist jedoch nur ein Ausgangspunkt. Der nächste Schritt ist die Entwicklung und Einrichtung einer IT-Plattform, damit eine routinemäßige Bewertung all dieser Elemente möglich ist ohne großen Aufwand für die Mitarbeiter. Der Automobilhersteller wird in diesem Kontext außerdem neue Anforderungen an die Lieferanten herantragen, damit diese ein besonderes Augen- merk darauflegen, ihr ESG-Profil ebenfalls zu verbessern. Dies wird ein entscheidender Faktor sein für die Verbesserung des gesamten ESG-Ratings in Bezug auf Nachhaltigkeit – und ein weiterer Schritt in Richtung eines komplett nachhaltigen Autos.