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VOM LEUCHTTURMPROJEKT ZUM COST-CUTTER
Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Werner Bick, Generalbevollmächtigter der ROI Management Consulting AG
In welchem Reifegrad befindet sich Industrie 4.0 in Deutschland zurzeit?
Betrachtet man Industrie 4.0 als Produktentwicklungsprozess, würde ich sagen, wir befinden uns gerade in der Roll-out-Phase. Das heißt, die notwendigen Grundlagen und Technologiebausteine sind den Unternehmen weitgehend bekannt und relativ günstig verfügbar. Viele von ihnen haben bereits erfolgreiche Pilotprojekte durchgeführt und dabei bereits erste Erfahrungen gesammelt. Nun sehen wir, wie diese Unternehmen ihre Industrie-4.0-Lösungen in der Fläche etablieren und auch kleinere Mittelständler in die Thematik einsteigen. Gleichzeitig nimmt auch der Reifegrad der Lösungen immer weiter zu, wie etwa die Preisträger des letztjährigen INDUSTRIE 4.0 AWARDS zeigen.
Angesichts dieser Fortschritte – wie erklären Sie sich, dass die Arbeitsproduktivität in einer Branche wie dem Maschinenbau seit 2005 nicht gestiegen, sondern zurückgegangen ist?
Das kann vielfältige Gründe haben. Zum einen darf man nicht vergessen, dass viele Unternehmen weiterhin einen Lernprozess durchlaufen, etwa bei der Frage, welche Instrumente am besten zu ihnen passen oder wie sie ihre Organisation daran ausrichten müssen. Zum anderen ist die Komplexität der Produkte in den vergangenen Jahren vielfach gestiegen. Eine höhere Produktindividualisierung, wie sie etwa durch Industrie 4.0 ermöglicht wird, geht eben oft auch zulasten der Produktivität. Somit kann der unmittelbare Effizienzsteigerungseffekt in einigen Fällen zunächst erst einmal ausbleiben.
Sind Industrie-4.0-Technologien vor diesem Hintergrund denn überhaupt als kurzfristige Kostensenkungsmaßnahmen geeignet?
Absolut. Man kann heute in der Industrie im Wesentlichen zwei Fälle unterscheiden: Einerseits Unternehmen, die erst einmal investieren müssen und bei denen sich der Payback dadurch möglicherweise länger hinzieht. Andererseits Unternehmen, die es schaffen mit einfachen, skalierbaren Lösungen ohne größere Anfangsinvestitionen direkt und unmittelbar Kosten einzusparen. Grundsätzlich gilt, dass es zur Verkürzung der Zeit bis zum „Return on I40“ die geeigneten Instrumente in Kombination mit einer auf die spezifischen Belange angepassten Vorgehensweise benötigt.
Wie kann die aussehen?
Viele Unternehmen denken Industrie 4.0 sehr stark vom Zielbild der komplett smarten Fabrik her, in der sämtliche Elemente der Wertschöpfungskette durchgehend vernetzt sind und sämtliche Informationen in Echtzeit zusammenfließen. Das ist grundsätzlich sinnvoll und richtig, hilft demjenigen, der seine Kostenstrukturen in der Montage oder in seiner Supply Chain schnell optimieren muss, nicht weiter, solange er keine Anwendungen findet, wo er dieses Wissen einsetzen kann, um etwa Durchlaufzeiten zu reduzieren und die Anlagenverfügbarkeit zu erhöhen. Das heißt konkret: Die großen Sechs-Jahres-Programme müssen durch smarte Sechs-Wochen-Projekte ergänzt werden, die Quickwins und schnelle Einspareffekte ermöglichen. Diese sogenannten Instant-I40-Lösungen setzen – vergleichbar mit Point-Kaizens – an einzelnen Stellen der Wertschöpfungskette an und schaffen dort punktuelle Verbesserungen mit einem unmittelbaren wirtschaftlichen Effekt.
Heißt das, Unternehmen sollten sich v.a. auf diejenigen Maßnahmen konzentrieren, die einen unmittelbaren Nutzen bringen?
Natürlich nicht nur. Der systematische Auf- und Ausbau einer I40-tauglichen Infrastruktur, wie etwa die durchgängige Vernetzung von Maschinen, Betriebsmitteln und Produkten, ist eine essenzielle Voraussetzung, um später das volle Potenzial von komplexeren Industrie-4.0.-Lösungen ausschöpfen zu können. Sie darf auf keinen Fall zugunsten von kurzfristigen Effizienzgewinnen vernachlässigt werden. Die gute Nachricht ist: das muss sie auch nicht. Vielmehr geht es darum, Quick Wins entlang der übergeordneten Industrie-4.0-Roadmap zu identifizieren und diese schnell und effizient umzusetzen.
Welche könnten das sein?
Grundsätzlich können das alle Lösungen sein, die unter Nutzung von Industrie-4.0-Elementen Kosteneinsparpotenziale entlang der industriellen Wertschöpfungskette heben. Häufig bauen diese dabei auf bereits vorhandenen Lean-Prozessen auf, wie im Fall des Digitalen Shopfloor Management, bei dem bestehende Praktiken des Lean Management durch digitale Elemente so erweitert werden, dass ein spürbarer Mehrwert entsteht.
Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz von Advanced Analytics zur Umsetzung eines prädiktiven Analysemodells in der Produktion. Für besonders qualitätskritische Fertigungsprozesse können Unternehmen so innerhalb einer vergleichbar kurzen Zeitspanne einen digitalen Zwilling entwickeln, um die Prozessstabilität und -qualität nachhaltig zu verbessern.
Danke für das Gespräch.