HOW TO SURVIVE A BLIZZARD OF CHANGE

DREI HANDLUNGSFELDER FÜR NACHHALTIGKEITSSTRATEGIEN

VERSETZEN SIE SICH FÜR EINEN AUGENBLICK ZURÜCK IN DIE FRÜHEN 2000ER JAHRE:

Mit Blackberry und iPod lag man technologisch weit vorn, Ego-Googeln galt als Volkssport und im Unternehmen waren der Webauftritt und Informatik-Skills plötzlich hochstrategische Themen. Wer die Morgendämmerung der Digitalisierung erkannte, stellte dann zuweilen ein paar Programmierer ein in der Hoffnung, nun bestens für die Zukunft aufgestellt zu sein.

Ähnlich verhält es sich heute, wenn Nachhaltigkeitsbeauftragte Ökonomie, Ökologie und CSR bei der „grünen“ Transformation des Unternehmens in Einklang bringen sollen. Das ist ein Anfang, aber es genügt natürlich nicht, um der Aufgabe gerecht zu werden. Wie die Digitalisierung verspricht auch die Ausrichtung auf ein nachhaltiges Wirtschaften, unsere Welt gravierend zu verändern. Und erneut gehen viele Unternehmen nur zögerlich die Herausforderung an, die eigentlich eine radikale Neuausrichtung erfordert.

Das liegt zuweilen daran, dass nicht jeder Nachhaltigkeitsaspekt für jede Industrie den gleichen Stellenwert hat. Energieintensive Branchen wie die Chemie-, Stahl- oder Automobilindustrie setzen sich z.B. schon länger mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander. Sie verfügen daher zwangsläufig über einen höheren Reifegrad in der operativen Umsetzung „grüner“ Strategien als Unternehmen, die hierbei noch am Anfang stehen. Und anders als früher können heute Industrie-4.0-Technologien im Zusammenspiel mit Lean Management und Initiativen operationaler Excellenz (OPEX) dafür sorgen, dass bei Recycling, CO₂-Reduktion oder Rohstoffeinsparun-en schnell signifikante Ergebnisse zustande kommen.

 

VORBEREITUNG AUF EINE NEUE WETTERLAGE: PRÄMISSEN FÜR NACHHALTIGKEITSSTRATEGIEN

An welchen Punkten setzen Fertigungsunternehmen bei der (Weiter-)Entwicklung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie am besten an, um die Komplexität des Themas in eine ergebnisorientierte Struktur zu bringen? Hier gibt es einen klaren Erfahrungswert aus unseren Projekten: Zuerst sollte man sich einen Überblick verschaffen, ob und wie das Thema bereits im Unternehmen verankert ist. Nur auf dieser Grundlage lässt sich wirklich abschätzen, ob Maßnahmen wirk-sam umsetzbar sind. Mit unserem „Sustainability Assessment“ beleuchten wir dies aus zwei Stoßrichtungen: Zum einen über eine „Bottom-up“-Nachhaltigkeitsbewer-tung der Wertschöpfungskette. Hier wird z.B. geprüft, wie die Produktentwicklung, Operations oder das Supply Chain Management hinsichtlich globaler Trends wie Ressourceneffizienz, Kreislaufwirtschaft oder Transparenz aufgestellt sind.

Zum anderen liefert ein „Top-down Assessment“ Antworten auf zwei wichtige Fragestellungen: Welchen Stellenwert hat das Thema Nachhaltigkeit generell im Unternehmen? Wie wird es bereits in den internen Prozessen berücksichtigt und umgesetzt, etwa anhand konkreter KPI-Ziele? Diese Perspektive bringt schnell (Verbesserungs-) Optionen für Nachhaltigkeitsinitiativen ans Tageslicht. Erfahrungsgemäß lassen sich diese Initiativen dann in drei Handlungsfeldern clustern und realisieren.


GESCHÄFTSMODELL & NACHHALTIGKEITSSTRATEGIE

Für eine Zäsur im Umgang mit Unternehmen, die wenig Eigenmotivation für das Thema Nachhaltigkeit aufbringen, sorgte im Mai 2021 ein niederländisches Gericht: Es verpflichtete den Konzern Royal Dutch Shell, im Jahr 2030 nur noch rund 55 % der 2019 emittierten CO₂-Menge auszustoßen. Dies zwingt das Unternehmen zu einer Änderung seines Geschäftsmodells und sendet ein klares Signal an die Branche, dass ein Umdenken stattfinden muss, um konkurrenzfähig bleiben zu können. Zwar mag die  Ölindustrie ein Sonderfall sein – aber kein Unternehmen kann davon ausgehen, dass der Klimawandel oder Lieferkettengesetze sich nicht auf das eigene Geschäftsmodell auswirken werden.

Bei der Integration von Geschäftsmodell und Nachhaltigkeitsstrategie sind u.a. die folgenden Ansatzpunkte hilfreich:

Nutze OPEX als Ausgangspunkt!

Unternehmen, die bereits einen hohen Reifegrad in Hinblick auf OPEX erreicht haben, sollten dies als Ausgangsbasis für die Formulierung und Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie nutzen. Schließlich zielen die OPEX-Maßnahmen bereits darauf ab, die Ressourceneffizienz zu erhöhen und Verschwendungen aller Art zu reduzieren bzw. zu vermeiden. Hier gilt es, über OPEX hinauszudenken: Könnte mein Abfall ein Rohstoff für ein anderes Unternehmen sein?

Über welche bereits vorhandenen Kennzahlen, z.B. zum Rohstoff- und Energieverbrauch, ließen sich Nachhaltigkeits-KPIs definieren?

Stelle dein Geschäftsmodell infrage!

Neben dem Energieverbrauch und möglichen Umweltbelastungen in der Produktion sollten auch die gefertigten Güter bzw. das damit verbundene Geschäftsmodell hinterfragt werden. Wer heute z.B. Maschinen herstellt und veräußert, erwirtschaftet zukünftig vielleicht mehr Gewinn durch Leasing-Modelle in Kombination mit Serviceleistungen: Der Kunde leiht oder least die Maschine und zahlt für Wartung und Optimierung durch den Hersteller. Das erhöht im Sinne des Kreislaufgedankens die Nutzungszeit der Maschine, verbessert die Effizienz ihres Einsatzes und bringt dem Hersteller im Idealfall mehr Gewinn ein. Denn wenn der Hersteller auch für die Wartung und Optimierung verantwortlich ist, kann er im Prinzip auf die Betriebsdaten aller im Umlauf befindlichen Maschinen zugreifen – und somit Wartung und Optimierung besser umsetzen, als es ein einzelner Nutzer einer Maschine könnte. Dies hat einen positiven Effekt auf die Downtime der Maschine und somit auch einen positiven Effekt auf die Nutzungszeit.

Teile und vernetze Produktionskapazitäten!

Ein weiteres Potenzial, das eng mit einer  Neuausrichtung des Geschäftsmodells verbunden ist, besteht bei der Auslastung der  Produktionskapazitäten. Bei Auftragsschwankungen sind Linien zuweilen nicht ausgelastet, sodass Produktionskapazitäten brachliegen. Freie Kapazitäten könnten also an andere Hersteller verkauft werden, deren Produktion einen Auftragsüberschuss bewältigen muss. Somit ließen sich auch auf einer gesamtwirtschaftlichen Ebene die Produktionskapazitäten optimieren und effizienter nutzen. Allerdings ist dieses Modell eher für Unternehmen geeignet, die sich regional vernetzen und nur geringe Transportwege bzw. -aufwände haben – sonst kann der positiven Energiebilanz bei der Maschinenauslastung schnell ein „Minus“ bei den Kraftstoffverbräuchen in der Logistik gegenüberstehen. das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen – eine Stabstelle oder ein Mitglied der Geschäftsführung? Dies beeinflusst den Stellenwert von Nachhaltigkeitsinitiativen und damit deren Impact auf die Nachhaltigkeitsperformance. Allerdings gilt auch: Je sichtbarer und transparenter Herausforderungen und Ergebnisse sind, dest  relevanter ist das Thema für C-Level-Entscheider. In diesem Zusammenhang sollten u.a. die folgenden Punkte berücksichtigt werden:

Visualisiere und vergleiche Resultate!

Wie der tatsächliche „Impact“ von Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Fertigung und weiteren Bereichen ausfällt, lässt sich mit einem Kennzahlensystem messen. Je Standort sind neben Strom- und Wasserverbrauch oder CO₂-Emissionen auch KPIs wie die Anzahl an Arbeitsunfällen und der Frauenanteil in der Belegschaft bzw. in Führungspositionen relevant.

Fertigende Unternehmen sollten die produktionsrelevanten KPIs zudem auf die Menge der gefertigten Produkte beziehen, um den Umwelteinfluss in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Leistung zu quantifizieren. Idealerweise ermöglicht das System nicht nur Zielvorgaben und Vergleiche auf der Standortebene, sondern auch bis hinunter zur Funktions- bzw. Abteilungsebene. Ein solches Benchmarking spielt wiederum bei der Incentivierung von Nachhaltigkeitsinitiativen eine zentrale Rolle. In Best-Practice-Fällen sind zudem Maßnahmen für den Fall hinterlegt, dass man von seinen Zielen abweicht oder mit der aktuellen Vorgehensweise nicht die erhoffte Wirkung erzielt.

Verbinde Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsinitiativen!

Die Digitalisierung bringt im Kontext der genannten Punkte zwei wesentliche Vorteile mit sich: erstens eine Verbesserung der Transparenz auf operativer Ebene, denn wer die aktuellen Verbrauchswerte und Prozessabläufe jeder Maschine genau kennt, kann diese auch entsprechend verbessern. Zweitens lässt sich die Komplexität des Systems, die sich aus der Menge an einzelnen Komponenten ergibt, nur durch digitale Lösungen überwachen, kontrollieren, steuern und schließlich optimieren. Verbesserungen können hierbei etwa durch eine präzisere Abstimmung der Maschinen aufeinander erzielt werden. Benötigt z.B. eine Maschine Wärme, während eine andere diese bereitstellt, lässt sich dies synchronisieren. Ein weiterer Vorteil besteht darin, den Strombedarf der Maschinen transparent zu machen. Die erhobenen Daten informieren nicht nur präziser über den Stromverbrauch, sondern lassen sich auch verwenden, um Schwachstellen, Fehler oder Ausfälle im System zu erkennen. Verbraucht eine Maschine mehr Strom als normalerweise, kann dies ein Anzeichen für Verschleiß sein und somit  rechtzeitig als „Warnsignal“ auf einen möglichen Ausfall hinweisen.

Nutze Lebenszyklus-Analysen, um bessere Entscheidungen zu treffen!

Bringt der Aufbau einer Photovoltaikanlage auf dem Fabrikdach den optimalen „grünen ROI“? Oder sind bessere Ergebnisse erreichbar, wenn stattdessen die Dienstwagenflotte und alle Transporter am Standort „elektrifiziert“ werden? Diese und ähnliche Fragestellungen, hinter denen sich eine hohe Komplexität bei der Umsetzung verbirgt, lassen sich mithilfe von Lebenszyklus-Analysen beantworten. Diese quantifizieren z.B. den Einfluss der Maßnahmen auf die CO₂-Emissionen über die nächsten zehn Jahre hinweg und ermöglichen somit eine schnelle Entscheidungsfindung für die letztendlich besser geeignete Maßnahme.


PRODUKTE, MÄRKTE & KUNDEN

Ein weiteres zentrales Handlungsfeld ist die nachhaltige Produktgestaltung. Schließlich lässt sich der steigende Bedarf an Konsumgütern auch mit limitierten Ressourcen decken – sofern man diese richtig einsetzt, in einen Kreislauf der Wiederverwertung bringt oder komplett durch besser geeignete Alternativen ersetzt. Bei der Ausrichtung von Nachhaltigkeitsstrategien sind in diesem Kontext u.a. die folgenden Orientierungspunkte relevant:

Entwickle „kluge“ Produkte!

Ob Maschine, Turnschuh oder Tiefkühlpizza – bei jedem Produkt ist eine Aufschlüsselung und Änderung der verwendeten Ressourcen möglich. Der ökologische Footprint des Produktes wird aber nicht nur von den eingesetzten Rohstoffen bestimmt, sondern auch davon, welche Wege diese zurücklegen – sowohl in der Lieferkette des Herstellers als auch später beim Endkunden und im Entsorgungs-/Recyclingprozess. Ein Umstieg auf lokal verfügbare Rohstoffe bzw. Materialien kann also bereits einen erheblichen Einfluss auf die Nachhaltigkeitsbilanz bei CO₂-Emissionen haben. Eine „kluge“ Produktgestaltung berücksichtigt u.a. diese Wege, aber auch, wie viel Energie für die Fertigung des Produktes aufgewendet werden muss.

Beziehe eine klare Position im Markt!

Die deutliche Ausrichtung der Automobilhersteller auf das Thema Nachhaltigkeit zeigt beispielhaft, welche Zugkraft eine solche Positionierung hat. Unabhängig davon, ob dies durch staatliche Vorgaben oder aus wirtschaftlichem Interesse motiviert ist – mit einer Verpflichtung zu CO₂-Neutralität wird ein deutliches Signal für Lieferanten, Partner und den Endkunden gesetzt. Zulieferer müssen damit rechnen, zu ihren Anstrengungen in Sachen CO₂-Reduktion befragt zu werden – sowohl vom Auftraggeber als auch weiteren Stakeholdern. Der Handlungsdruck, schnell mit klaren Informationen auskunftsfähig zu sein, hat dabei den positiven Effekt, dass Nachhaltigkeitsthemen bewusster und mit größerer Priorität im Unternehmen behandelt werden.

Denke in globalen Dimensionen!

Das eigene Produktportfolio unter Nachhaltigkeitskriterien zu bewerten, ist ein  wichtiger Schritt. Aber es ist deutlich mehr möglich, wenn man die globale Herausforderung, die Klimaziele zu erreichen, als Markt mit neuen Chancen versteht. Welche Produkte lassen sich z.B. entwickeln, um das CO₂ aus Kohlekraftwerken abzutrennen, zu speichern und für die Wirtschaft in anderen Materialien zur Verfügung zu stellen? Großes Potenzial haben zudem Energiespeicher für überschüssige regenerative Energie sowie Transportmittel, die mit grünem Wasserstoff, grünem Ammoniak oder anderen E-Fuels betrieben werden.

Diese Handlungsfelder vermitteln einen ersten Eindruck, was an Veränderungen im Unternehmen möglich und notwendig ist. Ähnlich wie bei der digitalen Transformation ist es wichtig, Aktionismus zu vermeiden. Das bedeutet, Aufmerksamkeit, Zeit und Geld sollten nicht willkürlich in viele kleine Projekte in der Breite investiert werden, sondern zuerst in eine gezielte Priorisierung fließen: Welche Bereiche im Unternehmen bergen die größten „Hebel“ für eine CO₂-Reduktion? Welche Maßnahmen bringen dort kurz- und langfristig welche Ergebnisse? Den Handlungsdruck, mit reduzierten Emissionen, einer höheren Recyclingquote oder geringem Energieverbrauch Fakten zu schaffen, kann das schon kurzfristig mildern.